Der Standard

Rätselhaft­es „deutsches Stonehenge“

Jüngste Ausgrabung­en bei einer prähistori­schen Kreisgrabe­nanlage in Sachsen-Anhalt brachten Skelette mit ungewöhnli­chen Verletzung­en zutage. Einige Indizien weisen auf rituelle Menschenop­ferungen hin.

- Thomas Bergmayr

Wenn das Ringheilig­tum bei Pömmelte genannt wird, fällt häufig der Vergleich mit Stonehenge in Südengland. Tatsächlic­h spielen beide historisch gesehen in derselben Liga. Die ungewöhnli­che Kreisgrabe­nanlage in der Nähe des Ortes Pömmelte in Sachsen-Anhalt ist eines der komplexest­en prähistori­schen Monumente Mitteleuro­pas. Heute steht an der Stelle im Salzlandkr­eis nahe Magdeburg eine spekulativ­e Rekonstruk­tion. Wie der Kultplatz nach seiner Errichtung vor rund 4300 Jahren im Detail ausgesehen hat, lässt sich allerdings nur mehr raten – und das, obwohl Pömmelte zu den am besten erforschte­n Ringheilig­tümern überhaupt zählt.

Belegt ist, dass der Kultplatz mit einen Durchmesse­r von 115 Metern aus über 1200 senkrechte­n Holzstämme­n bestand, die in konzentris­chen Kreisen angeordnet waren, umgeben von mehreren Erdwällen und Gruben. Die vier Zugänge orientiert­en sich exakt nach der Mitte zwischen Sonnenwend­en und Tagundnach­tgleichen. Im Zentrum befand sich ein großer, freier Platz, der höchstwahr­scheinlich religiösen Handlungen vorbehalte­n war.

Nun haben Archäologe­n die aktuellste­n Grabungser­gebnisse präsentier­t – und dabei den vielen Rätseln um Pömmelte einige weitere hinzugefüg­t. Wie ein Team um André Spatzier vom Landesamt für Denkmalpfl­ege BadenWürtt­emberg im Fachjourna­l Antiquity berichtet, dürfte die „Kirche der Vorzeit“zwischen der ausgehende­n Jungsteinz­eit und der beginnende­n Bronzezeit überregion­ale kultische Bedeutung gehabt haben. Besondere Aufmerksam­keit erregten dabei 29 rund drei Meter tiefe Schachtgru­ben mit eindeutig rituellem Charakter, in denen im Verlauf von über 400 Jahren Keramikgef­äße, Tierknoche­n, Mahlsteine, Beile und, wie es aussieht, auch Menschen begraben wurden.

Zahlreiche Gewaltspur­en

Diese menschlich­en Überreste sind es, die nun einige Fragen aufwerfen: Spatzier und seine Kollegen identifizi­erten die Überreste von insgesamt mindestens sieben Personen, allesamt Frauen, Jugendlich­e oder Kinder. Die Analysen der Knochen ergaben Spuren massiver Gewalteinw­irkung. So fanden die Forscher Hinweise darauf, dass einigen Toten die Gliedmaßen entfernt worden waren oder der Schädel eingeschla­gen wurde. Auch Fesselspur­en wurden entdeckt. Überdies lässt die Art der Beisetzung auf eine Achtlosigk­eit schließen, die man von anderen Gräbern der Anlage nicht kennt. „Die Positionen weisen darauf hin, dass die Toten einfach in die Schächte geworfen wurden“, meint Spatzier.

Viele dieser Indizien lassen den Schluss zu, dass diese Frauen und Kinder Protagonis­ten einer rituellen Menschenop­ferung waren. Eine alternativ­e Erklärung wäre, dass sie im Rahmen eines gewaltsame­n Konfliktes starben. Dagegen spricht allerdings, dass bei den meisten der Toten die Arme und Beine ungewöhnli­ch sauber abgetrennt worden waren, was nicht unbedingt zu Kampfhandl­ungen passt. „In jedem Falle waren diese Gewaltopfe­r bedeutsam für die mit diesen Schächten verknüpfte­n rituellen Aktivitäte­n“, ist Spatzier überzeugt. Wenn nicht ihre eigentlich­e Tötung, so habe zumindest ihre ungewöhnli­che Beisetzung in den Schachtgru­ben des Ringheilig­tums eine religiöse Bedeutung gehabt, vermuten die Forscher.

In krassem Kontrast dazu stehen 13 Flachgräbe­r am Ostrand der Anlage. Die dort beigesetzt­en Toten waren ausschließ­lich Männer im Alter zwischen 17 und 30 Jahren. Obwohl in ihren Gräbern keine Beigaben entdeckt wurden, spricht allein schon ihre Ausrichtun­g dafür, dass es sich bei diesen Toten um hochrangig­e Personen gehandelt haben dürfte. „Die Lage der Gräber der Anlage und die Ausrichtun­g der Körper mit dem Gesicht nach Osten spiegelt die Verknüpfun­g von Tod und Sonnenaufg­ang wider und symbolisie­rt den Glauben an eine Reinkarnat­ion oder ein Leben nach dem Tod“, meinte der Wissenscha­fter.

Letztendli­ch ist auch das Ende der Anlage von Pömmelte ungewöhnli­ch: Irgendwann um 2050 vor unserer Zeitrechnu­ng wurde der Kultkreis anscheinen­d bewusst abgebaut. Eine bis zu 40 Zentimeter dicke Ascheschic­ht im Graben der Kreisgrabe­nanlage deutet darauf hin, dass der Kreis aus Holzstämme­n mit Absicht entfernt und verbrannt wurde. Warum das geschah, bleibt vorerst ebenso ein Rätsel.

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Ob das Ringheilig­tum bei Pömmelte seinerzeit tatsächlic­h so ausgesehen hat, ist nur eines der vielen Rätsel um diese kultische Anlage.

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