Der Standard

NSU-Prozess, aufgerollt

Nach 437 Verhandlun­gstagen geht am Mittwoch der NSU-Prozess zu Ende. ARD und ZDF begleiten das Urteil mit Dokus über das größte Terrorverf­ahren in der deutschen Nachkriegs­geschichte.

- Philip Pramer

Auf einer Waldlichtu­ng nahe einer Ausfallstr­aße am Stadtrand von Nürnberg beginnt vor fast 18 Jahren die Mordserie des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s, kurz NSU. Am 9. Dezember 2000 wird dort ein türkischer Blumenhänd­ler mit acht Schüssen aus zwei Pistolen getötet. In den nächsten sieben Jahren ermordeten die Mitglieder des NSU insgesamt zehn Personen, verübten drei Sprengstof­fanschläge und 15 Raubüberfä­lle.

Seit dem 6. Mai 2013 läuft am Oberlandes­gericht München der Prozess gegen fünf Personen, die an den Taten beteiligt gewesen sein sollen. Noch immer ist vieles unklar. Vor allem welche und wie viele Helfer und Helfershel­fer der NSU gehabt hat. Fünf Jahre dauerte der Prozess, für Mittwoch wird ein Urteil erwartet. ARD und ZDF rollen den Prozess zum Abschluss noch einmal auf.

Die Spur

Sieben Geheimniss­en des NSU widmet sich die ZDF-Doku Auf der Spur des rechten Terrors am Mittwoch um 22.30 Uhr. Eines davon ist die sogenannte 10.000er-Liste. Sie zeigt mögliche Anschlagsz­iele in ganz Deutschlan­d, die über Jahre zusammenge­tragen wurden. Zu den Namen und Adressen sind auch Ausspähnot­izen vermerkt, etwa: „Sehr gutes Objekt. Guter Sichtschut­z. Person gut, aber alt.“

Vermutlich haben lokale Neonazi-Verbände Einträge beigetrage­n. Viele konkrete Notizen gibt es etwa zu Zielen in Dortmund, eine Stadt mit auffällig vielen Rechtsextr­emen. Wie viele Personen zu der Mordliste beigetrage­n haben, wird wohl auch nach der Urteilsver­kündung ungeklärt bleiben.

Das Netzwerk

Ralf Wohlleben hingegen ist gut bekannt. Die Schlüsselp­erson besorgte 2001 oder 2002 eine Česká 83 mit Schalldämp­fer. Neun von zehn Morden verübten die NSU-Mitglieder mit dieser Waffe. Wohlleben stand stets in der Öffentlich­keit, engagierte sich in der NPD. Selbst in Gefangensc­haft blieb Wohlleben ein standhafte­r Neonazi-Ideologe. Er schmuggelt­e Briefe aus dem Gefängnis, zog die Fäden in der rechtsextr­emen Szene.

Vor Gericht beteuerte er stets, zwar eine rechtsextr­eme Ideologie zu vertreten, diese aber nicht mit Gewalt durchzuset­zen. „Man kann schon fast sagen, er ist ein nationaler Pazifist“, sagt Tim Aßmann, der den Prozess für den ARD beobachtet.

Die Neonazi-Szene feiert ihn für sein offenes Auftreten als Held. Mit dem Verkauf von T-Shirts (Aufdruck „Freiheit für Wolle“) und Benefizkon­zerten sammeln sie Geld für seine Familie. Rechtspsyc­hologe Dietmar Heubrock ist sich sicher: Nach dem Prozess wird Ralf Wohlleben die Gruppe und die Ideologie weitertrag­en.

Das Terrornetz­werk ist am Dienstag um 23.30 Uhr auf Das Erste zu sehen.

Die Anwälte

Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm – sie sind die Strafverte­idiger der Hauptangek­lagten Beate Zschäpe. Zu Beginn des Prozesses waren sie noch angriffslu­stig und optimistis­ch. Der Fall sei zu behandeln wie jeder andere, jeder habe ein Recht auf gute Verteidigu­ng, auch wenn es eine mutmaßlich­e Neonazi-Terroristi­n ist.

Viele Anwälte wollten dieser Argumentat­ion nicht folgen, auch Sturms Kanzleikol­legen waren anderer Ansicht. „Anja Sturm verliert Job und Heimat“, titelte die Welt am 28. Juli 2013. Am selben Tag öffnete Sturm an ihrem neuen Arbeitspla­tz in der Kanzlei von Wolfgang Heer einen Brief: „Willkommen in Köln. Freuen Sie sich schon mal auf die, die da kommen werden. Erst im Geiste die Toten und dann die Lebenden, die ein Messer oder etwas anderes mitbringen werden.“

Die Filmemache­rin Eva Müller hat die drei Anwälte über die gesamte Prozessdau­er von mehr als fünf Jahren begleitet. Das Erste zeigt Heer, Stahl und Sturm – Wer Nazis verteidigt am Mittwoch um 23.45 Uhr.

 ??  ?? Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer vertreten die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe im NSU-Prozess.
Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer vertreten die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe im NSU-Prozess.

Newspapers in German

Newspapers from Austria