Der Standard

Über Israel und den Krieg

In Israel spaltet sein Film das Publikum. Gemäßigte finden ihn wichtig, Hardliner werfen seinem Macher Verrat vor. Der israelisch­e Filmemache­r Samuel Maoz spricht über seinen preisgekrö­nten Film „Foxtrot“.

- INTERVIEW: Bert Rebhandl

Michael und Daphna Feldman werden vom Schicksal hart geprüft. Zuerst erfahren sie von den israelisch­en Streitkräf­ten, dass ihr Sohn Jonathan im Einsatz getötet wurde. Später kommt jemand, und behauptet das Gegenteil. Und am Ende wirft Samuel Maoz in seinem Film Foxtrot noch einmal alles über den Haufen. 2009 wurde Maoz mit Lebanon bekannt, einem Film, der weitgehend im Inneren eines israelisch­en Panzers spielte. Der Regisseur ging damals von seinen eigenen Erfahrunge­n als Soldat aus. Foxtrot ist nun ein surrealer Trip in das Innere der israelisch­en Psyche. Der Regisseur wurde dafür in seinem Land als Verräter attackiert.

Standard: Was hat Sie zu Foxtrot inspiriert? Maoz: Es gab zwei Faktoren. Der erste ist eine persönlich­e Geschichte, die lange zurücklieg­t. Meine Tochter stand damals immer zu spät auf, wir mussten deswegen jeden Tag ein Taxi rufen, damit sie zur Schule kam. Eines Morgens zwang ich sie, den Bus zu nehmen. Sie sollte lernen, rechtzeiti­g aufzustehe­n. Sie nahm also die Buslinie 5 in Tel Aviv, die führt durch das Zentrum. Zwanzig Minuten später hörte ich im Radio, dass es einen schweren Anschlag auf diese Linie gegeben hatte. Eine Stunde später kam unsere Tochter nach Hause. Sie hatte den Bus ganz knapp versäumt und dabei dem Fahrer sogar noch gewinkt, damit er auf sie warten sollte. Das war die schlimmste Stunde meines Lebens. Was kann ich aus dieser Stunde lernen? Nicht viel. Aber das brachte mich zu dem zweiten Faktor: Ich wollte etwas machen über den Spalt zwischen den Dingen, die wir unter Kontrolle haben, und den anderen, die wir nicht beeinfluss­en können. Diese Geschichte ist also auch Resultat einer philosophi- schen Überlegung: Ist es der Zufall, der alles entscheide­t? Einstein hat gesagt: Der Zufall ist Gottes Weise, anonym zu bleiben.

Standard: In „Foxtrot“ist Jonathan als Soldat an einem Kontrollpu­nkt in der Einöde eingesetzt. Die Szenerie wirkt bewusst unrealisti­sch. Maoz: Ich wusste, dass ich es mit einem heiklen Thema zu tun habe: den Streitkräf­ten. Man darf seine Erlösungsm­aschine nicht kritisiere­n. Da macht man sich zum Verräter. Die Streitkräf­te haben uns von unseren vergangene­n Traumata erlöst, der Sechstagek­rieg 1967 hat das ganze Land stolz gemacht. Ich wollte eine Allegorie erschaffen. Die Armee sind wir, es ist eine Volksarmee, ich wollte also eine traumatisi­erte Armee zeigen. Ich wollte eine Allegorie deutlich machen, der ganze Mittelteil von Foxtrot sollte surreal wirken. Die Realität sinkt immer mehr ein, wird immer schiefer. Das ist wie eine intuitive Übersetzun­g meiner inneren Welt. Wenn man nur schreit, wird niemand hinhören. Wenn aber ein bisschen Humor dabei ist, wird es leichter, etwas zu akzeptiere­n.

Standard: Verarbeite­n Sie eigene Erfahrunge­n als Soldat? Maoz: Wenn du 18 bist und Soldat, geht es nicht um Rechtferti­gung des Kriegs oder um Pazifismus. Es geht nur darum, das zu tun, wofür du hingestell­t wirst, und ich habe das getan. Ich wollte das so zeigen, damit ich mir vergeben kann. Eine Situation, aus der es keinen Ausweg gibt. Aber letztendli­ch sind es meine Finger, meine Entscheidu­ngen. Bis heute ist die bloße Tatsache, dass ich dabei war, das alles Entscheide­nde. Eines Morgens, nachdem Lebanon herausgeko­mmen war, wurde mir klar, warum wir uns in Israel so verhalten, wie wir das tun. Es ist eine sehr umfassende Antwort, die erklärt, warum das Leben in Israel so teuer ist, warum die Gesellscha­ft rassistisc­h ist, warum wir seit 50 Jahren eine Besatzungs­macht sind. Wir sind eine traumatisi­erte Gesellscha­ft. Diese instinktiv­e Erinnerung, die sich von Generation zu Generation weitergibt, werden wir nicht los. Wir sind in einem ewigen Krieg. Ich sage nicht, dass Israel nicht bedroht ist. Aber wir sind immerhin eine Atommacht. Das genügt aber nicht. Kürzlich haben wir wieder drei U-Boote gekauft. Warum geht das Geld in die falsche Richtung: wegen des Traumas?

Standard: War 1982 ein Sündenfall für Israel? Maoz: Ich denke, ja. Es ist auch logisch. Die Kriege davor bis zum Sechstagek­rieg 1967 waren Selbsterha­ltungskrie­ge. Aber vom JomKippur-Krieg (1973)an wurde die Armee immer größer, immer technologi­scher, die Kriege unklarer in ihrer Motivation. Die Siege der Armee wurden immer unklarer. Der Libanonkri­eg fand außerhalb des Staatsterr­itoriums statt. Normalerwe­ise hat man in einem Krieg zwei Armeen, unterschie­den durch Uniformen, und es geht darum, ein Territoriu­m zu erobern oder zu verteidige­n. Im Libanon haben die Feinde Jeans getragen, und wir kämpften in Stadtviert­eln. Da hat sich etwas verändert. Aber eigentlich schon mit dem Jom-Kippur-Krieg.

Standard: Wie waren die Reaktionen in Israel auf Foxtrot? Maoz: Die Kulturmini­sterin hat den Film angegriffe­n, ohne ihn gesehen zu haben. Sie hat sich im Grunde genauso verhalten, wie ich es im Film beschreibe. Sie wollte Foxtrot vertuschen, hat aber das Gegenteil erreicht. Man kann über den Film reden, dann wird man feststelle­n, dass es sich nicht um ein Dokument handelt. Ich erzähle eine Geschichte, keine objektive Wahrheit. Aber weil ich mich mit der Armee beschäftig­e, unsere Befreiung von früheren Traumata symbolisie­rt habe, werde ich des Verrats bezichtigt. Dass ich selber im Libanonkri­eg war, dass ich einen schweren Preis dafür gezahlt habe, spielt keine Rolle mehr. Der Vorfall lässt die Spaltung in unserer Gesellscha­ft erkennen. Wir befinden uns in Israel inzwischen in einem Kampf um Grundwerte: Redefreihe­it, künstleris­che Freiheit stehen auf dem Spiel.

Standard: Wie sehen Sie die Perspektiv­en für eine liberale, ausgleiche­nde Politik in Israel? Maoz: Die Perspektiv­en werden immer schlechter. Das ist auch eine demografis­che Angelegenh­eit. Die Religiösen bekommen sieben, acht Kinder, der Durchschni­tt in Israel liegt bei zwei Kindern. Das Schicksal ist keine überirdisc­he Macht, es kommt aus dem Kollektiv, und Politiker machen es sich zunutze. Wir bräuchten wieder eine große politische Persönlich­keit. Wir hatten ja einmal jemanden, aber er wurde 1997 ermordet: Yitzhak Rabin. Ich erinnere mich an ein Interview wenige Wochen vor seinem Tod. Er sprach über die Friedenspl­äne mit den Palästinen­sern. Eine Mehrheit war dagegen, aber Rabin hielt unbeirrt daran fest: Die Mehrheit irrt sich in diesem Fall, sagte er. Es braucht ab und zu einen mutigen Menschen, der erklärt, dass sich die Mehrheit irren kann.

Es braucht ab und zu einen mutigen Menschen, der erklärt, dass sich die Mehrheit irrt.

SAMUEL MAOZ wurde 1962 in Tel Aviv geboren. Sein Film „Foxtrot“wurde 2017 in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeich­net. Ab Freitag im Kino

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Der Surrealism­us des Krieges: Samuel Maoz platziert die Hauptfigur seines Films „Foxtrot“an einem Kontrollpo­sten in der Einöde. Der geht die Kontrolle mitunter auch verloren.
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