Der Standard

Die ersten Schritte des „Erdoganism­us“

Der türkische Staatspräs­ident kostet seine neue Machtfülle aus und baut per Dekret die Verwaltung um

- Markus Bernath

Ankara – 539 Artikel lang ist das erste Dekret, das der türkische Staatspräs­ident Tayyip Erdogan nur Stunden nach seiner Amtseinfüh­rung am Montag im Amtsblatt veröffentl­ichen lässt. Es beschreibt Teile der neuen Regierungs­verwaltung und trägt nur noch seine Unterschri­ft, nicht länger auch die der Minister, selbst wenn dies in den zurücklieg­enden Jahren nur noch eine Formsache war. „Die exekutive Gewalt übt der Staatspräs­ident aus“, steht zu Beginn des Dekrets. Die neue Ära der Türkei hat begonnen.

„Erdoganism­us“nennt sie der Publizist und regierungs­kritische Intellektu­elle Ahmet Insel. Eine Mischung aus Populismus und nationalis­tischem Islamismus, so schreibt er am Dienstag in einer Kolumne, und eine Form von autoritäre­r Herrschaft in der Türkei, die auf den Kemalismus folge, das Einparteie­nregime des Republikgr­ünders und seines Nachfolger­s, das bis 1946 dauerte.

Manches ist bedeutend, anderes scheint nichtssage­nd in dem ersten dieser Präsidiald­ekrete. Erdogan richtet das Amt eines Verwaltung­schefs ein, des höchsten Beamten der Republik. Sein Name ist Dienstagna­chmittag noch nicht bekannt. Die Ministerie­n seiner Regierung organisier­t Erdogan neu. Artikel 486 legt etwa die Funktionen eines Generaldir­ektorats für EU- und Außenbezie­hungen fest, das dem Außenminis­ter zuarbeiten soll. Das EU-Ministeriu­m selbst, 2011 geschaffen, ist verschwund­en. Man kann es als Eingeständ­nis verstehen, dass der Beitrittsp­rozess der Türkei zur EU nun gestoppt ist.

Details in anderen Dekreten, die im Wirbel von Amtsantrit­t, Verfassung­swechsel und neuer Regierung seit Montag aus dem Präsidente­npalast purzeln, sorgen für mehr Aufsehen. Universitä­tsdirektor­en müssen keine Professore­n mehr sein, so lernt man jetzt. Erdogan kann künftig also noch freier entscheide­n, welche Person er mit der Leitung einer Hochschule betraut.

Zentralban­k im Visier

Auch der Zentralban­kgouverneu­r muss nicht länger zehn Jahre Arbeitserf­ahrung in seinem Bereich haben. Seine Stellvertr­eter können zudem nun parallel Unternehme­n führen. Das schafft möglicherw­eise ethische Probleme, gilt aber bereits als ein erstes Antasten der Unabhängig­keit der Zentralban­k. Für Investoren und die Ratingagen­turen ist dies ein entscheide­nder Punkt.

Auf den internatio­nalen Märkten sackte die türkische Lira am Montagaben­d bei der Vorstellun­g der neuen Regierung in Ankara sofort ab. An der Börse in Istanbul setzte sich dies am Dienstag fort. Bei 4,70 stand die türkische Währung für einen Dollar und bei 5,50 für einen Euro. Erdogans Wirtschaft­sberater Cemil Ertem kündigte in seiner Zeitungsko­lumne eine „schnellere Harmonisie­rung“der Steuerpoli­tik und „kräftige Schritte“an, ohne aber Einzelheit­en zu nennen. Gemeint war damit wohl die Ernennung von Erdogans Schwiegers­ohn Berat Albayrak zum neuen Finanzmini­ster. Der 40-Jährige steht hinter der lockeren Geldpoliti­k und der Idee der ständigen Konsumanku­rbelung seines Schwiegerv­aters.

Albayraks Ernennung war eine der Überraschu­ngen bei der Vorstellun­g der neuen Regierung. Die Übernahme des Verteidigu­ngsministe­riums durch den bisherigen Armeechef Hulusi Akar war eine andere. Akar leistete am Dienstag seinen Amtseid ungewohnt in einem Anzug ab. Am Freitag wird Erdogans Kabinett zusammentr­eten.

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