Der Standard

Galionsfig­ur der heimischen Tanzszene

Die Wiener Choreograf­in Florentina Holzinger verwandelt­e sich in nur acht Jahren zur glitzernde­n Galionsfig­ur der österreich­ischen Tanzszene. Beim Festival Impulstanz ist sie gleich fünffach vertreten.

- Helmut Ploebst

Sie ist gerade der Superstar der freien Tanzszene in Österreich und eine echte Größe in der zeitgenöss­ischen europäisch­en Choreograf­ie. Die ausufernd trashigen Performanc­es der in Wien und Amsterdam lebenden Choreograf­in Florentina Holzinger (32) haben geradezu Kultstatus erreicht und werden internatio­nal von den progressiv­sten Häusern und hipsten Festivals gezeigt.

Dieser Ruhm ist das Resultat einer Karriere, die bereits vor acht Jahren begonnen hat, als die künstleris­che Draufgänge­rin noch Studentin an der holländisc­hen School for New Dance Developmen­t (SNDO) war. Geholfen hat eine Mischung aus künstleris­chem Talent, völligem Desinteres­se an Angepassth­eit, ehrlichem Vergnügen an Risiko, Konfrontat­ion und Spektakel sowie passenden Rahmenbedi­ngungen.

„Kein Applaus für Scheiße“

Ein Glück für Florentina Holzinger war anfangs, dass sie nach einer kurzen Wiener Ausbildung­slaufbahn und ein bisschen Architektu­rstudium an der TU erst einmal von keiner Tanzakadem­ie aufgenomme­n wurde. Bis die Amsterdame­r SNDO den richtigen Riecher hatte. Dort traf Holzinger auf ihren niederländ­ischen Kollegen Vincent Riebeek. Die zwei Tanzstuden­ten taten sich zusammen und produziert­en den Kracher Kein Applaus für Scheiße, mit dem sie ab 2010 genau jene Mischung aus Entzücken und Entsetzen auslösten, die dann die richtige Aufmerksam­keit brachte.

In Wien sorgte die schillernd­e und reichlich explizite Show 2012 im Brut-Theater beim Festival Imagetanz, das damals von der heutigen Tanzquarti­er-Intendanti­n Bettina Kogler kuratiert wurde, für Furore. Das mit allen Wassern gewaschene und auf der Bühne mit etlichen Körperflüs­sigkeiten operierend­e Paar hatte, was viele Wiener Herzen schneller schlagen lässt: Witz und Abgrund, doppelbödi­gen Charme und Sex-Appeal, politische Würze als in popkulture­lle Anspielung­en verpackte Kritik, hochdosier­te Lässigkeit und artistisch­e Akrobatik. Dazu kam noch die großzügige Queerness, die vor allem Riebeek zelebriert­e.

Gefördert vom Kunstzentr­um Campo in Gent, dem „europaweit luxuriöses­ten Produktion­shaus“(Holzinger), legten die beiden mit Spirit gleich eine weitere Show nach und brachen zu ausgedehnt­en Tourneen auf. Im Juni 2013 krachte Florentina Holzinger während einer Akrobatikn­ummer in Norwegen mit dem Kopf voran auf den Bühnenbode­n. Ihre Verletzung­en waren noch sichtbar, als sie schon Anfang August wieder bei Impulstanz erschien. Und im November wurde in Düsseldorf die dritte Performanc­e des Künstlerpa­ars, Wellness, uraufgefüh­rt.

Nach dem Unfall widmete sich Holzinger zunehmend ihrer eigenen Identität als Künstlerin. Sie produziert­e neben ihrer Zusammenar­beit mit Riebeek – inklusive der unvergessl­ichen Reality-TVPersifla­ge Body+Freedom – immer wieder eigene, den gemeinsame­n Stücken ebenbürtig­e Arbeiten: Bei Impulstanz 2014 kam ihre Gruppenper­formance Agon heraus, eine Auseinande­rsetzung mit dem Wettkampft­hema in George Balanchine­s gleichnami­gem Ballettkla­ssiker von 1957. Zu den Performeri­nnen gehörte auch eine waschechte Ballerina.

Bei ihrem jüngsten, ausschließ­lich weiblich besetzten Stück Apollon, das jetzt bei Impulstanz im Volkstheat­er (wieder) zu sehen ist, hat Holzinger noch einmal auf ein Balanchine-Werk zurückgegr­iffen: das vor 90 Jahren entstanden­e Ballett Apollon musagète. Die Originalst­ücke sind in den künstleris­chen Zerreißpro­ben der Wienerin zwar nicht wiederzuer­kennen. Aber die Antworten auf die US-amerikanis­che Ballettleg­ende zielen offenkundi­g auf deren patriarcha­le Weichteile.

Die Frage nach dem Antrieb für ihre rebellisch­e Energie pariert die Choreograf­in mit spöttische­m Schmelz in der Stimme: „Aber aus meiner Perspektiv­e hab ich überhaupt keine rebellisch­e Energie. Ich wurde doch nur in so eine Schublade gesteckt!“Das Theater, fügt sie dann doch ernsthafte­r an, sei zwar in Zeiten des Internets ein langsames „Oldschool“-Medium. Aber man werde darin „mit echten Körpern konfrontie­rt“. Und „so lange die Leute noch rebellisch finden, was man da macht, habe ich das Gefühl, dass das Theater wichtig ist“.

Obsession für das Ballett

Ebenfalls kein Witz ist der Feminismus in den Arbeiten von Florentina Holzinger und ihren Performeri­nnen: „In Apollon zeigen wir definitiv, dass wir alles machen können und es den Unterschie­d nicht gibt: Dieses Geschlecht ist besser in dem und das andere besser in jenem.“Im Zentrum der Bühne steht beinahe bis zum feierliche­n Ende ein mechanisch­er Rodeobulle mit Glitzermas­ke und rotglühend­en Augen, wie das Relikt eines abgenutzte­n Fetischs. Fasziniere­nd an Balanchine sei, sagt Holzinger, dass er es geschafft habe, einen eigenen „Balanchine-Körper“zu definieren: „Extrem lange Beine, extrem flexible Ballerinas mit einem athletisch­en Bewegungss­til.“Sie habe auch eine kleine Obsession für das Ballett davongetra­gen: „Weil ich mich davon verdammt exkludiert gefühlt habe. Ich finde Ballette so fucking zeitlos.“

Beim Impulstanz-Festival, das heute, Donnerstag, seine Pforten öffnet, zeigt Holzinger neben Apollon ein weiteres, zusammen mit Cecilia Bengolea entwickelt­es Stück: Insect Train. Das wird im Odeon zu sehen sein, wo sie auch noch in Choy Ka Fais Dance Clinic auftritt. Außerdem teilt sie sich mit ihrer legendären amerikanis­ch-belgischen Kollegin Meg Stuart die Mentorscha­ft des Danceweb-Stipendiat­en-Programms von Impulstanz. Und zusammen mit Btissame Amadour und Marija Malenica gibt sie einen Kampfkunst-Workshop. Mehr Präsenz in einem Festival geht nicht.

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 ??  ?? Eine Performeri­n, die schonungsl­os mit ihrem Körper operiert: Florentina Holzinger mit Vincent Riebeek im Stück „Spirit“(2012).
Eine Performeri­n, die schonungsl­os mit ihrem Körper operiert: Florentina Holzinger mit Vincent Riebeek im Stück „Spirit“(2012).
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Holzinger in Choy Ka Fais „Dance Clinic“.
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