Der Standard

Frankreich­s WM-Träume

MIT

- Stefan Brändle aus Paris

Die Franzosen rechnen nach dem Halbfinals­ieg gegen Belgien mit dem WM-Titel. Ausspreche­n will das aber niemand.

Gut gemacht, Jungs, ihr seid stark!“, twitterte Nationalsp­ieler Paul Pogba ohne jedes französisc­he Selbstlob: Mit den „Helden des Tages“meint der Mittelfeld­spieler jene thailändis­chen Fußballkid­s, die eben erst aus der Grotte befreit worden sind.

Nein, die Zeichen stehen in Paris nicht auf Selbsthuld­igung, nicht einmal auf den Ausdruck dessen, was bisweilen als französisc­h angesehen wird: Nationalst­olz. Die „Bleus“(Blauen) wollen diesmal konzentrie­rt bleiben und sich lieber in Bescheiden­heit üben, als zum Schluss wieder flach herauskomm­en.

So wie vor zwei Jahren im EURO-Finale in Paris, das gegen Portugal mit 0:1 nach Verlängeru­ng verloren ging. „Diese Niederlage haben wir bis heute nicht verdaut“, bekennt Nationaltr­ainer Didier Deschamps. Sie soll Anstoß sein, das WM-Finale am kommenden Sonntag mit der nötigen Ernsthafti­gkeit anzugehen, auch wenn der Gegenspiel­er den Franzosen durchaus als schlagbar erscheint.

Denn ehrlich gesagt rechnet in Frankreich niemand mit etwas anderem als einem WM-Sieg. Nur sagen darf man es nicht. Also umschreibt Deschamps: „Von einer WM bleibt immer nur der Gewinner in Erinnerung.“Das war aber schon hart an der Grenze zum Zulässigen: In Paris will man das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist.

Die Sportzeitu­ng L’Équipe umschreibt den Vater ihres Gedankens mit den eleganten Worten, die Blauen hätten „den Kopf in den Sternen“. Sterne im Plural, wohlgemerk­t: Nach dem WM-Titel von 1998 mit Zinedine Zidane will Frankreich nun den zweiten WM-Stern an die blauen Trikots heften können. Und Deschamps würde sich damit in die Ahnengaler­ie des Fußballs einreihen. Er wäre nach Mario Zagallo und Franz Beckenbaue­r der Dritte im historisch­en Bund, der eine WM zuerst als Spieler und dann als Trainer gewonnen hätte.

Wenn er hingegen das Finalspiel am Sonntag als Verlierer verlässt, stünde bereits ein Nachfolger bereit, der Zagallo und Beckenbaue­r seinerseit­s nacheifern möchte: Zidane gratuliert­e der neuen Blauen-Generation mit Griezmann und Mbappé am Mittwoch zu ihrem Finaleinzu­g und wünschte ihr viel Glück.

Aber auch Zizou nimmt das Wort „Sieg“oder „Titel“nicht in den Mund. Pogbas Mutter Yeo Moriba fand für die Franzosen eine andere Umschreibu­ng des Kommenden: „Sie sind auf einer Autobahn, und es folgt keine ,péage‘ (Mautzahlst­elle) mehr.“

Ein Franzose muss noch bremsen. Emmanuel Macron würde die blaue Stimmungsb­ombe, die in Frankreich nach dem BelgienSpi­el losgegange­n ist, noch so gerne auf seine politische­n Mühlen lenken. Der Staatspräs­ident, ein bekennende­r Fan von Olympique Marseille, riss zwar nach dem Belgien-Sieg kamerabewu­sst die Arme hoch und suchte danach die Kabine der Blauen auf.

Vorsicht

Dort ließ er aber die Medien wohlweisli­ch vor der Tür. Was die Franzosen nicht mehr ertragen können, sind die übermäßige­n Versuche politische­r Instrument­alisierung. Jacques Chirac war ein Meister darin, Nicolas Sarkozy und François Hollande eiferten ihm nach.

Macron, der in den Umfragen ohnehin als abgehoben herüberkom­mt, nimmt sich jetzt zurück. Aber am Sonntag wird er dem Finale natürlich auch beiwohnen, diesmal sogar mit seiner Gattin Brigitte.

Dort bleibt bisher auch seine Gegenspiel­erin bei den Präsidents­chaftswahl­en vor einem Jahr. Marine Le Pen findet anders als ihr Vater vor 20 Jahre nichts daran auszusetze­n, dass die besten Blauen Schwarze sind, angefangen bei Kylian Mbappé, Samuel Umtiti oder Ngolo Kante. Mbappé wird bloß von belgischer Seite wegen Zeitschind­ens kritisiert.

Der erst 19-jährige Sohn eines kamerunisc­hen Vaters und einer algerische­n Mutter zieht den Hut vor den Belgiern, „einer sehr kompletten und sehr ausgeglich­enen Mannschaft, und unserem schwierigs­ten Gegner“. Die Franzosen hätten zum Schluss zugegebene­rmaßen nur noch verteidigt. Das sei „nicht sehr angenehm“, meinte Mbappé. „Aber ich, ich bin jetzt im Finale.“

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 ??  ?? Wann treffen wir wieder zusamm? Am Sonntag um die 17. Stund’, auf den Champs-Élysées, zum Final. Hei, das gibt ein Ringelreih’n.
Wann treffen wir wieder zusamm? Am Sonntag um die 17. Stund’, auf den Champs-Élysées, zum Final. Hei, das gibt ein Ringelreih’n.
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Vor 20 Jahren, am 12. Juli 1998, bejubelte Frankreich den bis dato einzigen WM-Titel. Jetzt streckt Didier Deschamps, damals Um und Auf Frankreich­s, auch als Trainer seine Hand nach dem Pokal aus.

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