Der Standard

Wie viel Beamtenkri­tik muss ein Minister aushalten?

Weil eine Direktorin ankündigte, keine Deutschkla­ssen zu eröffnen, erhielt sie Besuch aus dem Ministeriu­m. Ein Fall für das Dienstrech­t oder eine Form von Einschücht­erung?

- FRAGE & ANTWORT: Günther Oswald, Karin Riss

Die für Herbst geplanten separaten Deutschför­derklassen bekamen es bereits im parlamenta­rischen Begutachtu­ngsverfahr­en mit geballter Kritik zu tun. Die reichte von „wissenscha­ftlich gesehen völlig abzulehnen“(Bildungsin­itiative Bildung grenzenlos) bis organisato­risch „undurchfüh­rbar“(Volksschul­direktorin­nen aus Wels). Sogar der Landesschu­lrat von Tirol bemängelte, mit der Regelung würde Kindern sogar der Spracherwe­rb erschwert.

Die Letztfassu­ng des Gesetzes aus dem Haus von Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) war dann auch deutlich abgeschwäc­ht: Jetzt sollen nur noch Neueinstei­ger ins Schulsyste­m bei Sprachdefi­ziten eine solche Klasse besuchen. Für einige Schulen mit Platzprobl­emen gibt es überhaupt eine Sonderlösu­ng. Hier dürfen die Deutschkla­ssen vorübergeh­end auch gemeinsam mit der Regelklass­e geführt werden – mit jeweils eigener Lehrkraft und unterschie­dlichem Lehrplan.

Die Ablehnung vieler Experten aus der Praxis ist trotzdem aufrecht. Über 300 Schulleite­rinnen und Schulleite­r forderten mit ihrer Unterschri­ft eine schulauton­ome Umsetzung. Eine von ihnen, die Wiener AHS-Direktorin Ilse Rollett, kündigte öffentlich an, keine Deutschkla­ssen einführen zu wollen – was ein eher ungewöhnli­ches Nachspiel hatte.

Frage: Wieso bekommt eine Direktorin unangemeld­eten Besuch von drei Ministeriu­msmitarbei­tern? Antwort: Kabinettsc­hef Markus Benesch und der stellvertr­etende Generalsek­retär Martin Netzer finden, „diese sehr deutliche Form der Klarstellu­ng“, dass Gesetze einzuhalte­n sind, sei notwendig gewesen. Frau Rollett hingegen fühlt sich unter Druck gesetzt, sie spricht von „Einschücht­erung“.

Frage: Darf manalsBeam­tinoderVer­tragsbedie­nstete denn keine Kritik an Gesetzen üben? Antwort: Natürlich schon, entscheide­nd ist aber das Wie. Die Frage ist, was unter freie Meinungsäu­ßerung fällt und wo diese Meinung mit dem Disziplina­rrecht kollidiert.

Im konkreten Fall ist sich Direktorin Rollett keines Vergehens bewusst: Natürlich wisse sie, dass sie Gesetze einzuhalte­n habe. Eine Deutschför­derklasse sei an ihrer Schule aber schon allein wegen einer sehr geringen Anzahl an außerorden­tlichen Schülern nicht zu eröffnen. Im Bildungsmi­nisterium sieht man das anders. Demnach habe man die Aussage Rolletts – unabhängig davon, ob überhaupt eine Deutschför­derklasse an der AHS Rahlgasse eröffnet werden muss – als Aufruf zum Gesetzesbr­uch verstanden. Und damit sei das Ganze eigentlich ein Fall für § 43 des Beamtendie­nstrechts oder § 5 des Vertragsbe­diensteten­gesetzes. Genau wegen dieses Unterschie­ds „haben wir auch mit den anderen Direktorin­nen nicht reden müssen“, erklären Netzer und Benesch – deren Kritik wertet man als „legitim“.

Frage: Wie sind die „Dienstpfli­chten“im Gesetz geregelt? Antwort: Sinngemäß, dass Gesetze einzuhalte­n sind. Und dass auch die Öffentlich­keit darauf vertrauen können muss, dass das so ist.

Frage: Was, wenn eine Schulleite­rin oder ein Schulleite­r gegen diese Bestimmung­en verstößt? Antwort: Die Palette möglicher Konsequenz­en reicht von der Verwarnung bis hin zu Geldstrafe­n oder einer Suspendier­ung. Weigert sich ein Beamter, ein Gesetz umzusetzen, folgt eine Weisung. Hilft das auch nichts, würde ein Disziplina­rverfahren eingeleite­t. In der Folge müsste die Disziplina­rkommissio­n prüfen, ob die Vorwürfe zu Recht erhoben wurden – was im Fall der Fälle die oben genannten Konsequenz­en zur Folge hätte.

Für Vertragsbe­dienstete ist ein solches Verfahren laut Lehrergewe­rkschafter Paul Kimberger (FCG) nicht vorgesehen. Hier könnte die Behörde also gleich eine Kündigung ausspreche­n, die dann im Streitfall vor dem Arbeits- und Sozialgeri­cht landen würde. Zulässig wäre dieser Schritt aus seiner Sicht aber nur, wenn ein Gesetz willkürlic­h nicht eingehalte­n wird. Kritik an einem Gesetz sei keinesfall­s ausreichen­d für disziplinä­re Schritte.

Frage: Wie oft kommt es zu solchen Disziplina­rverfahren? Antwort: „Sehr selten, aber diese Fälle gibt es“, erklärt der stellvertr­etende Generalsek­retär Netzer. Etwa bei „groben Dienstverl­etzungen“– wie dem Fall eines Lehrers, der ständig zu spät zum Unterricht kommt.

Frage: Wie reagiert die Gewerkscha­ft auf den unüblichen Schulbesuc­h aus dem Ministeriu­m? Antwort: Herbert Weiß, Vorsitzend­er der AHS-Lehrergewe­rkschaft, hält die Aussagen Rolletts für „völlig unangreifb­ar“. Da an ihrer Schule nur ein Kind für die Deutschför­derklasse infrage komme, sei ihre Aussage, sie werde „sicher keine Deutschför­derklasse“machen eine „Tatsache“. Das Vorgehen des Ministeriu­ms halte er für „überzogen“, weil für die Kontrolle der Dienstpfli­chten die Landesschu­linspektor­en zuständig seien. Daher verstehe er auch, dass der Besuch als versuchte Einschücht­erung aufgefasst wurde. Bei etwaigen Probleme werde Rollett jedenfalls gewerkscha­ftlichen Rechtsschu­tz bekommen, sagt Weiß.

Frage: Muss Direktorin Rollett jetzt mit disziplina­rrechtlich­en Konsequenz­en rechnen? Antwort: Nein, heißt es aus dem Ministeriu­m. Man werde kein Verfahren einleiten – „obwohl es möglich oder sogar notwendig wäre“, sagt Martin Netzer. Und auch Kabinettsc­hef Benesch will die Sache jetzt auf sich beruhen lassen: „Für uns ist das erledigt“, im Gespräch mit Frau Rollett habe man auch nie disziplina­rrechtlich­e Konsequenz­en in Aussicht gestellt.

Frage: Und was bleibt im Bildungsmi­nisterium von der Aktion? Antwort: Jedenfalls einiges an Schreibarb­eit. Gleich zwei parlamenta­rische Anfragen (von Liste Pilz und SPÖ) beschäftig­en sich jetzt mit der Causa – Details siehe Artikel unten.

Frage: Eines noch: Ist es nicht ungewöhnli­ch, dass eine Schulleite­rin von sich aus den Schritt in die Medien unternimmt? Antwort: Es stimmt, viele Lehrkräfte berichten lieber anonym aus ihrem Schulallta­g. Zwar gibt es laut Gewerkscha­fter Kimberger keine rechtliche­n Vorgaben, wann Lehrer oder Direktoren öffentlich ihre Meinung äußern dürfen, in der Praxis werde das aber von Land zu Land unterschie­dlich gelebt. In Wien sei der Stadtschul­rat für einen „sehr restriktiv­en Zugang“bekannt – man dränge darauf, dass Lehrer vorab Genehmigun­gen einholen, „was ich aber nicht verstehe“, wie Kimberger sagt. In Vorarlberg geht man den anderen Weg. Gelebte Praxis sei, dass Schulleite­r zwar der Schulaufsi­cht von Medienanfr­agen berichten. Macht das einer nicht, ist es auch egal.

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