Der Standard

Wie man Jihadisten kuriert

UN-Experten kritisiere­n, dass Österreich zu wenig gegen Extremismu­s tut. Zugleich geht die Zahl der Jihadisten zurück. Wie passt das zusammen?

- Maria Sterkl

Österreich tue zu wenig und das Falsche gegen Radikalisi­erung – zu diesem Befund ist eine Expertenmi­ssion der Vereinten Nationen gekommen ( der

STANDARD berichtete). Gleichzeit­ig geht die Zahl der jungen Männer und Frauen, die Österreich verlassen, um sich dem Kampf für den „Islamische­n Staat“(IS) anzuschlie­ßen, seit Jahren zurück. Wie passt das zusammen?

Dass die Zahl der Ausreisen heimischer Jihadisten rückläufig ist und jene der Rückkehrer stagniert, liege weniger an erfolgreic­her Arbeit in Österreich als an den Entwicklun­gen im Nahen Osten, sagt der Politikwis­senschafte­r Thomas Schmidinge­r. Einerseits sei der IS unattrakti­ver als früher – „ein besiegtes Kalifat ist weniger sexy als ein sich ausbreiten­des“, meint Schmidinge­r.

Anderersei­ts sei auch für jene, die immer noch bereit sind, für den IS zu kämpfen, das Durchkomme­n viel schwierige­r geworden. Wegen der Gebietsver­luste der IS-Milizen sei es seit zwei Jahren praktisch unmöglich, direkt über die Türkei in IS-kontrollie­rtes Gebiet zu reisen.

Die Kritik der UN-Experten hält Schmidinge­r für gerechtfer­tigt. Seit der Gründung der Beratungss­telle Extremismu­s im Dezember 2014 sei „nicht mehr viel passiert“. Zwar gebe es Akteure, die gezielt mit Betroffene­n arbeiten. Darüber hinaus gebe es aber wenig systemisch­e Prävention, also Strategien, um der Radikalisi­erung den Nährboden zu entziehen. Diese Kritik hatten auch die UN-Experten geübt. „Die größte Gefahrenqu­elle sind junge Männer, die viel Tagesfreiz­eit haben und damit nichts anzufangen wissen“, sagt Schmidinge­r. Eine bessere Integratio­n benachteil­igter Jugendlich­er in Bildung und Arbeitsmar­kt sei die beste Prävention. Derzeit passiere eher „das Gegenteil“: Ein vor allem in Wahlkampfz­eiten muslimenfe­indlicher Diskurs drohe die „wachsende Entfremdun­g“dieser Jugendlich­en noch zu verstärken.

„Überrascht“vom Befund der UN-Mission ist hingegen der Prävention­sexperte Moussa Al-Hassan Diaw vom Verein Derad. Er hält ihn für einseitig. „Es wird so dargestell­t, als gebe es gar nichts im Bereich der Prävention. Das ist nicht der Fall“, sagt Diaw, dessen Verein im direkten Kontakt mit gefährdete­n oder betroffene­n Personen ist und auch mit verurteilt­en Extremiste­n in Haftanstal­ten arbeitet.

Aussteiger­programm fehlt

Derad ist auch in der Prävention­sforschung tätig und bietet Schulungen für Lehrer, Polizisten und die Justizwach­e an. Die Ausgaben werden mit dem Justizmini­sterium abgerechne­t, ein kleines Büro, in dem Klientenge­spräche stattfinde­n, wird ebenfalls von der Justiz bezahlt, aber darüber hinaus gibt es keinerlei Basis- oder Projektfin­anzierung.

Ein offizielle­s Aussteiger­programm für Jihadisten und Rechtsextr­emisten, wie in vielen anderen europäisch­en Ländern erprobt, gibt es in Österreich noch nicht. Ein 2017 gestartete­s Pilotproje­kt soll noch bis zum Herbst laufen, es zielt allerdings nur auf islamische­n Extremismu­s ab.

Bis Oktober soll das unter ExInnenmin­ister Wolfgang Sobotka (ÖVP) gegründete Anti-Extremismu­s-Netzwerk, in dem Ministerie­n, alle Bundesländ­er und dutzende NGOs zusammenar­beiten, ein Strategiep­apier zur Radikalism­uspräventi­on entwickelt haben.

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Jugendlich­e mit viel Tagesfreiz­eit, die sie nicht zu nutzen wissen: Das sei die größte Gefahr im Bereich der Radikalisi­erung, meint der Politologe Thomas Schmidinge­r.

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