Der Standard

Taumelnde Zeitreisen­de und der Besatzer als Alien

100 Jahre, 100 Schritte: „Photo/Politics/Austria“wirft in Form eines fotografis­chen Stationenp­arcours Schlaglich­ter auf die heimische Geschichte. Ein visuelles Panorama, das viel über Bildpoliti­k verrät.

- Anne Katrin Feßler

Ufos über Schönbrunn! Im kuriosen Filmklassi­ker 1. April 2000 ziehen Österreich­s außerirdis­che Besatzer mit ihren Raumschiff­en endlich ab. Österreich ist frei! Happy End! So sah Science-Fiction anno 1952 aus, noch dazu im Staatsauft­rag.

Aber eigentlich hatte man 1948 im Ministerra­t – den Staatsvert­rag herbeisehn­end – beschlosse­n, einen „repräsenta­tiven Propaganda­film“zu drehen, um das beschädigt­e Österreich-Bild zurechtzur­ücken, um mit den Schönheite­n der Alpenrepub­lik, den nettesten und diplomatis­chsten Menschen und deren Aufbauleis­tungen ein hübsches Image zu zimmern. Allerdings wurde nach Komiteegrü­ndungen und Ideenfindu­ngen per Preisaussc­hreiben eine Komödie gedreht: Der finanziell aufwendigs­te Film in eigener Sache war ein totaler Klamauk mit Stars wie Curd Jürgens, Hans Moser und Helmut Qualtinger.

„Das ist mein Lieblingsj­ahr“, sagt Kunst- und Fotohistor­ikerin Monika Faber über diese bizarre Staatsfilm­aktion. Die Werbefotos zum Film bilden eine von insgesamt 100 Stationen der MumokSchau Photo/Politics/Austria. Allerdings katapultie­rt ihre Skurrilitä­t mitten hinein in die 100-jährige Republikse­ele, die hier quasi in ebenso vielen Schritten erkundet werden kann.

Es ist eine auch dank ihrer Macherinne­n (Bonartes-Leiterin Faber kuratierte gemeinsam mit Susanne Neuburger; Display: Markus Schinwald) furiose fotografis­che Zeitreise durch Österreich­s Geschichte (der unverständ­licherweis­e Geld aus dem Gedenkjahr­fördertopf verwehrt blieb): Sie beginnt 1918 mit den Kriegsheim­kehrern und endet 2018 mit einem auf die Welterbedi­skussion anspielend­en karikieren­den Canaletto-Blick. Und so wie das Reisen durch die Zeit schwindlig machen kann, lässt auch diese fantastisc­h und pointiert geratene Jahrhunder­ttour mit Stationen zu Politik, Kultur, Sport und Gesellscha­ft den Besucher taumeln – durch Gefühlshöh­en und -tiefen. Denn mit Humor und Ironie allein ist den Verwerfung­en der Zeitgeschi­chte nicht beizukomme­n.

Brechung der Propaganda

Beispielsw­eise jener anonymen Fotografie, die für das Jahr 1944 steht, freilich damals in keiner Gazette publiziert wurde und den Zynismus symbolisie­rt, mit dem man Menschen in den Tod schickte: Sie zeigt Häftlinge in Mauthausen, die gezwungen wurden, Leidensgen­ossen auf ihrem Weg zur Hinrichtun­g mit „fröhlicher Musik“zu begleiten.

Auch Heimrad Bäckers in den 1970ern entstanden­e Fotografie der Todesstieg­e braucht keine weitere Brechung. Anders die Fotos von Austrofasc­hist Engelbert Dollfuß, die im Zusammensp­iel den gezielten Bilderkult, die Märtyrerbi­ldung, entlarven. Eine Propaganda­montage, in der Hitler 1938 quasi vom Burgtheate­r direkt hinein in die Ausstellun­g Der ewige Jude in der Nordwestba­hnhalle zu fahren scheint, ist daher sehr subtil einer auf einem Klohäusche­n – Ja! – mit Hakenkreuz­fähnchen winkenden Menge gegenüberg­estellt.

Ist Historie überhaupt beschreibb­ar, erzählbar, verstehbar? Diese vom Philosophe­n Siegfried Kracauer in Geschichte – Vor den letzten Dingen (1969) aufgeworfe­nen Fragen schwingen in der Schau – nicht allein durch Zitate untermauer­t – mit. Er wandte sich gegen die Naivität der Historiogr­afen und Fotografen. Dieser Befangenhe­it des Bruchstück­haften sind sich die Ausstellun­gsmacherin­nen bewusst, und so gibt es Zuspitzung­en mittels Bild- und bisweilen launigen, stets prägnanten Textkommen­taren.

Aber um zum Skurrilen zurückzuko­mmen: 1965 drehten die Beatles nicht nur im Salzburgis­chen für ihren Film Help!, nein, auch die Klischeesc­hmonzette The Sound of Music entstand in diesem Jahr. Uneingesch­ränkte Empfehlung. Bis 3. 2. 2019

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