Der Standard

Nach EU-Urteil rascher Ausbau der Atomkraft erwartet

Staatshilf­e für Hinkley Point möglicher Anschub für AKWs rund um Österreich

- Jakob Pallinger

Luxemburg/Wien – Für Österreich ist das Urteil des Gerichts der Europäisch­en Union schmerzhaf­t: Großbritan­nien darf dem geplanten Atomkraftw­erk Hinkley Point weiter Beihilfen zukommen lassen. Es geht um einen hohen Einspeiset­arif, den der Staat den Betreibern über 35 Jahre garantiert hat. Österreich hatte 2015 Klage gegen die Beihilfe eingereich­t. Kritisiert wurde unter anderem, dass die Förderung EU-Zielen wie der Entwicklun­g von erneuerbar­en Energien und dem Umweltschu­tz entgegenla­ufe.

Grundsätzl­ich sind Beihilfen dieser Art nur zulässig, wenn sie von allgemeine­m Interesse sind. Das Gericht stellte jedoch fest, dass dieses Interesse nicht unbedingt jenes aller Mitgliedss­taaten oder der Mehrheit der Mitgliedss­taaten sein müsse. Jeder Mitgliedss­taat habe das Recht, zwischen verschiede­nen Energieque­llen zu wählen.

Beim Umweltmini­sterium denkt man nun über die Möglichkei­t einer Berufung nach. Laut eines Rechtsexpe­rten hat Österreich mit dieser aber geringe Aussichten auf Erfolg. Für andere Klagen wie etwa bei Paks II in Ungarn könnte die Entscheidu­ng in Großbritan­nien nun als Präzedenzf­all dienen und die österreich­ischen Beschwerde­n künftig ins Leere laufen lassen. (red)

Quer durch Mitteleuro­pa, einmal über den Ärmelkanal: Rund 1700 Kilometer hat man zurückgele­gt, bis man von Österreich in Somerset im Südwesten Englands angelangt ist, wo die ersten Vorarbeite­n für das Kernkraftw­erk Hinkley Point laufen. Trotz der Distanz gehen bei der heimischen Regierung beim Gedanken an das AKW die Wogen hoch, denn Großbritan­nien darf dem Kraftwerk laut EUKommissi­on mit Staatsbeih­ilfen unter die Arme greifen: Das Land hat den Betreibern einen hohen Einspeiset­arif für 35 Jahre zugesagt.

Österreich hatte 2015 gegen die Beihilfen geklagt, jetzt hat das Gericht der Europäisch­en Union in Luxemburg die Klage in erster Instanz abgewiesen.

Grundsätzl­ich sind Beihilfen wie jene in Großbritan­nien in der EU verboten. Allerdings kann es bei Investitio­nen, die von allgemeine­m Interesse sind, Ausnahmen geben. Dieses „gemeinsame“Interesse müsse laut Gericht nicht unbedingt im Interesse aller Mitgliedst­aaten oder der Mehrheit der Mitgliedst­aaten liegen. Jeder Mitgliedst­aat habe das Recht, zwischen verschiede­nen Energieque­llen zu wählen.

Das Umweltmini­sterium kann die Entscheidu­ng nicht nachvollzi­ehen. Man sei nach wie vor der Ansicht, dass die Kommission nicht korrekt gehandelt habe, nicht nur in rechtliche­r, sondern auch in politische­r Hinsicht, hieß es in einer Aussendung. Im Ministeriu­m werde nun überlegt, eine mögliche Berufung einzulegen. Auch Umweltorga­nisationen beklagten die Entscheidu­ng. „Es kann nicht sein, dass Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er zur Kassa gebeten werden, um veraltete Hochrisiko­technologi­en zu finanziere­n, die sonst am Strommarkt nicht bestehen könnten“, hieß es etwa von Greenpeace Österreich.

Großbritan­nien ist längst nicht das einzige Land, das Österreich mit seinen Plänen ein Dorn im Auge ist. Rund 180 Kilometer von der Grenze entfernt befindet sich Ungarns einziges Kernkraftw­erk Paks. Vergangene­s Jahr hatte die EU-Kommission auch dort grünes Licht gegeben, mit staatliche­n Beihilfen den Ausbau voranzutre­iben: Zwei neue Reaktoren sollen in Paks entstehen. Sie sollen zunächst neben den vier in Betrieb befindlich­en Reaktoren laufen, die in den 80er-Jahren gebaut wurden und erst zwischen 2032 und 2037 abgeschalt­et werden sollen. Zusammen sollen die Reaktoren dann 86 Prozent des ungarische­n Stroms liefern.

Wie bei Großbritan­nien brachte Österreich auch in diesem Fall Anfang des Jahres eine Klage vor dem Gericht der Europäisch­en Union ein. Umweltorga­nisationen sorgen sich nicht nur um die räumliche Nähe zum Kraftwerk, sondern auch um den billigen Strom, der den österreich­ischen Anbietern Konkurrenz machen könnte. Zudem wird befürchtet, dass der Ausbau einen Dominoeffe­kt bei anderen Kraftwerke­n in der Umgebung auslösen könnte: Denn auch in Dukovany in Tschechien, Bohunice in der Slowakei, Belene in Bulgarien und Cernovodă in Rumänien existieren Erweiterun­gspläne.

Beispiel Dukovany: Erst vor wenigen Wochen machten Niederöste­rreich, Wien und Oberösterr­eich wieder gegen den geplanten Ausbau des über 30 Jahre alten Kraftwerks mobil. Dort ist geplant, zwei zusätzlich­e Reaktoren zu errichten, für die anderen vier Blöcke wurde 2017 die Laufzeit zeitlich unbefriste­t verlängert.

Die Sorge über das 32 Kilometer von der Grenze entfernte AKW ist nicht ganz aus der Luft gegriffen: Mehrmals mussten Reaktoren bereits unplanmäßi­g abge- schaltet werden, vor zweieinhal­b Jahren wurden bei einer Kontrolle Mängel bei den Röntgenauf­nahmen von Schweißnäh­ten festgestel­lt.

Dass das Großbritan­nien-Urteil einen Präzedenzf­all für andere Atomprojek­ten in Europa bilden könnte, hält auch Umweltrech­tsanwalt Christian Schmelz für wahrschein­lich. „Legt sich das EU-Gericht fest, wird man von den Grundsätze­n nurmehr schwer abweichen.“

Geringe Erfolgsaus­sichten

Gestützt habe sich die Entscheidu­ng auch auf den EuratomVer­trag von 1957, in dem die Förderung für Kernenergi­e festgehalt­en ist. Denn auch die Atombefürw­orter würden wissen, dass kaum ein Kraftwerk ohne Förderunge­n zu bewerkstel­ligen ist. Österreich habe mit seiner Berufung und möglichen anderen Klagen geringe Erfolgsaus­sichten, so Schmelz.

Der Streit entbrennt auch an der Rolle der erneuerbar­en Energien. In Österreich weist man Großbritan­nien darauf hin, dass der Strom auch mit Windkraft erzeugt werden könnte. Vergleichb­are Kapazitäte­n in derselben Zeit zu erzeugen sei aber unrealisti­sch, so die EU-Kommission.

Österreich sei mit seiner Wasserkraf­t eben privilegie­rt, lautet die häufige Argumentat­ion aus Großbritan­nien. Allerdings war auch für Großbritan­nien 2017 ein besonderes Jahr: Erstmals wurde in dem Land mehr Strom aus Sonnen- und Windkraft erzeugt als mit Atomenergi­e.

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