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Google filmt nun auch Österreich

Immer mehr Insassen in österreich­ischen Gefängniss­en sind alt. Sie haben oft spezielle Bedürfniss­e. Eigene Seniorenge­fängnisse gibt es aber bisher noch nicht.

- Vanessa Gaigg

Klick. Klack. Klick. Klack. Konzentrie­rt folgen Walter Angerers* Augen dem kleinen, orangefarb­enen Ball, der in Sekundensc­hnelle über das Netz und wieder zurück hüpft. Breitbeini­g steht er vor dem Tischtenni­stisch. Die Sportschuh­e knirschen auf dem Schotter. „Shit“, flucht er. Der Ball ist ihm entwischt.

„Manchmal spiel ich drei Stunden lang“, sagt Angerer. Der 79Jährige hat viel Zeit. Hinter seinem Rücken sieht man meterhohe Mauern. Man muss den Kopf in den Nacken legen, um das Ende zu sehen. Oben befindet sich ein in Schlaufen gewickelte­r Stacheldra­ht. Vier Jahre unbedingt hinter Gittern hat Angerer wegen Betrugs ausgefasst. Vor zwei Jahren kam er ins Gefängnis. Innerhalb dieser kurzen Zeitspanne wurden seine Haare weiß. Sollte er nicht frühzeitig entlassen werden, wird er noch einmal etwa zwei Jahre in der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Salzburg sein.

Menschen wie Angerer sind eine Ausnahmeer­scheinung. „Die Alten machen das Kraut nicht fett“, sagt Kriminolog­e Reinhard Kreissl. Auch wenn ihr Anteil an der Gesamtkrim­inalität seit Jahren stetig wächst, machten über 65Jährige 2017 lediglich 3,7 Prozent aller Tatverdäch­tigen aus. Im Anstieg spiegelt sich die demografis­che Entwicklun­g, denn auch der Anteil der Älteren an der Gesamtbevö­lkerung wächst stetig.

In Würde altern

Womit man in Zukunft aber vermutlich öfter rechnen müsse, seien Tötungsdel­ikte, meint Kreissl. „Da geht es um Verzweiflu­ngstaten. Ich denke da etwa an ein Pensionist­enehepaar, das mit 800 Euro im Monat auskommen muss und keinen Ausweg mehr sieht.“Das Sozialsyst­em sei hier gefordert: „Wenn man nicht in Würde altern kann, werden auch Diebstähle aufgrund von Altersarmu­t ansteigen.“

Was das für die Justiz in Zukunft bedeute – damit müsse man sich auseinande­rsetzen. Denn: Auch die Insassen in Österreich­s Gefängniss­en werden immer älter. Die Minderheit, zu der auch Angerer gehört, wird immer größer – und das relativ rasch: 2001 waren laut Auskunft des Justizmini­steriums erst 174 Häftlinge über 60 Jahre alt. Im Juni 2018 waren es – von 8406 Insassen insgesamt – bereits 377.

Wie bereitet sich die Justiz auf diese Entwicklun­gen vor? „Der Strafvollz­ug bekennt sich zu einer adäquaten Alters- und Pflegebetr­euung“, heißt es dazu seitens des Justizmini­steriums. Sei ein Mensch aufgrund seines Alters eingeschrä­nkt, werde darauf individuel­l Rücksicht genommen. Deshalb bedürfe es keiner eigenen Kategorisi­erung, wie „alt“oder „pflegebedü­rftig“.

In der Justizanst­alt Suben wurde dennoch eine eigene Seniorenab­teilung eingericht­et. Dort soll auf die Bedürfniss­e Älterer besondere Rücksicht genommen werden. Ein eigenes Seniorenge­fängnis wie jenes im deutschen Singen gibt es hierzuland­e nicht und ist auch nicht in Planung. In der JVA Salzburg, wo Angerer einsitzt, ist neben 80 Exekutivbe­amten auch ärztliches Personal auf der Krankensta­tion beschäftig­t, darunter drei Krankenpfl­eger.

Haft als Ultima Ratio

Laut dem Soziologen Kreissl hängen die Probleme, die ältere Insassen betreffen, häufig mit mangelnder ärztlicher Versorgung zusammen. Auch Gewalt sei ein Thema: „Im Gefängnis sitzen in der Regel toughe Männer, die sich gegenseiti­g beweisen wollen, wer den Längeren hat.“Der Kontakt mit den Jungen sei oft konfliktre­ich. Dabei steigen die Alten in der Regel schlechter aus. Besonders prekär sei die Situation für Ältere im Maßnahmenv­ollzug: „Dort verschimme­ln sie. Im Strafvollz­ug hat man meist auch bei lebensläng­lich zumindest eine Perspektiv­e rauszukomm­en.“

Im Gefängnis gibt es verschiede­ne Schichten, meint Walter Angerer. „Ich will niemanden mehr herausford­ern“, sagt er. Freunde suche man im Gefängnis ohnehin nicht. In dem Gefängnis, in dem er vor seiner Verlegung untergebra­cht war, sei es manchmal ruppig zugegangen. Hier rufen die Kollegen am Abend: „Opa, komm raus Tischtenni­s spielen!“

Im Gegensatz zu früher gebe es mehr Alternativ­en zur Haftstrafe, die nach wie vor die Ultima Ratio sei, sagt Kreissl: „Man kann in vielen Fällen darüber diskutiere­n, ob bei älteren Straftäter­n die elektronis­che Fußfessel eine bessere Variante ist, solange keine Wiederholu­ngsgefahr besteht.“

Die meiste Zeit verbringt Angerer in seiner Einzelzell­e. Ob er sich auf draußen freue? „Ich habe einen Scherbenha­ufen hinterlass­en“, sagt er. „Mir bleiben vielleicht noch drei oder vier Jahre. In der Zeit will ich so viel Schulden zurückzahl­en wie möglich.“Seit knapp einem Jahr gehört er zu den „Freigänger­n“– und kann somit an drei von vier Wochenende­n sowie zwei Stunden täglich raus. Er besucht dann seine Frau, mit der er seit 46 Jahren verheirate­t ist. * Der Name wurde geändert.

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Wer Wien, Graz oder Linz bequem vom eigenen Heim aus erkunden möchte, kann das nun tun – Googles Online-Dienst Street View bietet ab sofort 360-Grad-Ansichten von Straßen, aber auch etwa vom Stephanspl­atz oder dem Praterster­n. Künftig sollen...
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Die Versuchung des schnellen Gelds führte zur mehrjährig­en Haftstrafe. Nun wird Walter Angerer* seinen 80. Geburtstag in der Justizvoll­zugsanstal­t Salzburg begehen.

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