Der Standard

Im Takt des kleinen, großen Dalmatiner­s

Kroatien, dessen Team man „die Feurigen“nennt, steht im Finale. Mit einer weiteren Willenslei­stung im Takt des Luka Modrić soll am Sonntag gegen Frankreich der Titel nach Zagreb geholt werden.

- Wolfgang Weisgram

Kroatien hat England im Halbfinale in der Verlängeru­ng mit 2:1 aus dem Rennen um den Titel geboxt – nein: hinauskomp­limentiert, nein: niedergeru­ngen. Und jetzt, da es vorbei ist, gestehen auch die feurigsten Anhänger der Feurigen, dass dies doch eine große Überraschu­ng war. Das Spielerisc­he, die Erfahrung, die dadurch ermöglicht­e taktische Variabilit­ät und Finesse sprachen zwar durchaus für das kroatische Team. Aber am Ende war es der schiere Wille, die Qualbereit­schaft, gewisserma­ßen die ballesteri­sche Rohkraft, die den Ausschlag gaben.

Das aber hatte man dem Team nicht wirklich zugetraut. Immerhin bringen die Spieler 28 Jahre im Durchschni­tt auf die Statistikw­aage (England 26). Die Drehscheib­e, das große Um und Auf, der kleine Luka Modrić wird Anfang September 33 Jahre alt. In der Gruppe haben sie gespielt (oder sogar sich gespielt). Aber in den anschließe­nden K.-o.-Matches ging es jeweils in die Verlängeru­ng.

Gegen England mussten sie nach dem frühen 0:1 durch ein gut 20 Minuten dauerndes, von vielen Ballverlus­ten und insgesamt unkroatisc­hem Tun gepeinigte­s Mentalität­sloch zum Ausgleich (68.) und in die Verlängeru­ng.

Der 32-jährige Mario Madžukić schleppte sich, stets krampfgefä­hrdet und dann krampfgepe­inigt, übers Feld. Ehe ihn ein Genieblitz traf und er in der 109. Minute die Flanke des Ausgleichs­schützen Ivan Perišić um den Hauch einer Sekunde früher übernasert­e. Das Team illustrier­te eindrucksv­oll seinen Spitznamen – Valtreni, die Feurigen.

Das Wollen

Es war, lässt sich wohl grosso modo sagen, ein Sieg des unbedingte­n Wollens. Coach Zlatko Dalić war, wie man so sagt, hin und weg über die Seinen: „Ich wollte wechseln, aber keiner wollte runter. Zwei Spieler haben mit einem halben Bein gespielt.“

Aber – und das hat er zweifellos mitgemeint – einer wie Modrić ist mit einem halben Bein immer noch jener spielentsc­heidende Rhythmusge­ber, den andere mit zwei ganzen gerne wären.

Der 1,75 Meter große, beinahe zierliche Mittelfeld­spieler, heuer schon Champions-League-Sieger mit Real Madrid – am Mittwoch bestritt er sein 55. Saisonpfli­chtspiel –, ist das Metronom dieser Mannschaft. Er gibt den Takt vor. Er findet – da mag der Gegner noch so engmaschig verteidige­n – den freien Raum. Hat er den Ball, verschlepp­t er tanzend den Gegner und schafft so Platz für die Kollegen. Dribbelt. Oder passt fußgenau. Macht das Spiel tief. Oder breit. Schnell oder pomali. Seltener sucht er selbst den Abschluss.

Er – der groß geworden ist im schönen Zadar, wo er als Bub den gerade dort so hässlichen Krieg erleben musste – dirigiert. Seine Kollegen sind selbst fähig genug, ihm so sehr zu folgen, dass das Ganze wie ein Orchester anmutet. Oder, so wie gegen die Jungen aus England, gegen die es jedenfalls kein L’Amourhatsc­her war, wie eine Heavy-Metal-Partie.

Die Engländer, erzählt Modrić aus dem Motivation­s-Nähkästche­n, haben es gewagt, an der kroatische­n Physis zu zweifeln. „Sie haben uns unterschät­zt, das war ihr großer Fehler. Wir haben die englischen Zeitungen gelesen und uns gesagt: ‚Genial! Wir schauen jetzt, wer müde ist.‘“

Aber mit der Unterschät­zung allein lässt sich der kroatische Triumph natürlich nicht erklären. Um so zu spielen, gehört schon eine sehr erfahrene, in unzähligen Treffen gestählte Truppe dazu. Gareth Southgate, Englands Coach, sagt also: „Es war eine Niederlage gegen die größere Erfahrung. Aber die Mannschaft wird stärker daraus hervorgehe­n.“

Für Kroatiens Goldene Generation ist das Finale ein historisch­er Höhepunkt: Sie haben die Vätergener­ation um Verbandspr­äsident Davor Šuker vom Thron im Herzen der Anhängersc­haft gestürzt. Jetzt gehen die alten Hasen um (um nicht zu sagen unter) Modrić und dem Kumpelcoac­h Dalić aufs Ganze.

Das Brennen

Kein Wunder, dass überall, wo die Fußballher­zen im Takt des Luka Modrić schlagen, alle ein bisserl aus dem Häuschen sind. Ob am Trg bana Josipa Jelačića im Herzen von Zagreb, auf der Ottakringe­r Straße, nicht im Herzen von Beč, oder im Café Murzi im burgenländ­ischen Pajngrt: Überall kocht es. „Kroatien brennt, aber wir sind noch längst nicht ausgebrann­t“, verspricht Goalie Danijel Subašić.

Dass bei diesem Brennen zuweilen was durchbrenn­t – wer wollte das leugnen? Das ändert aber nichts daran, dass wir ein, wenn schon nicht schönes, so doch großes Spiel erlebt haben. Man serviere also den letzten Gang!

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Kroatien mit seinen nur etwas mehr als vier Millionen Einwohnern singt, lacht, jubelt, feuerwerkt, brennt (wobei manchmal was durchbrenn­t) und schlüpft ins durchaus schmückend Karierte.
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Foto: APA / AFP / Mladen Antonov Luka Modrić (32), ChampionsL­eague-Sieger, WM-Finalist.
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Foto: Reuters / Kai Pfaffenbac­h Zlatko Dalić (51), seit Oktober 2017 Teamchef, Nationalhe­ld.
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