Der Standard

„Österreich nutzt Migration als Hebel“

Österreich­s Regierung setzt auf das Thema Zuwanderun­g, um Arbeiter anzusprech­en, sagt Wirtschaft­shistorike­r Davide Cantoni. In Wahrheit geht es um knallharte ökonomisch­e Interessen.

- Aloysius Widmann

INTERVIEW:

Populistis­che Parteien sind in Europa auf dem Vormarsch. Darin, wie man sie stoppen kann, sind sich Experten uneins. Manche sagen, dass abgeschott­ete Außengrenz­en helfen würden. Migration würde dadurch gestoppt und den Rechtspopu­listen Argumente abhandenko­mmen. Davide Cantoni glaubt, dass man nur mit Aufklärung dagegenhal­ten kann. Er plädiert für Informatio­nspolitik.

STANDARD: Warum wählen so viele Menschen populistis­che Parteien? Cantoni: Dass Globalisie­rungsverli­erer oft extrem wählen, ist gut belegt. Weltweiter Handel produziert Gewinner und Verlierer und mit Verlierern auch Rechtswähl­er. Ob Arbeiter durch Migration verlieren, ist unklar – vieles spricht dagegen. Wer in den letzten Jahren nach Europa gekommen ist, ist meist noch gar nicht in den Arbeitsmar­kt eingetrete­n. Das heißt aber nicht, dass viele Leute nicht Angst hätten, dass Migranten ihnen Jobs oder Sozialleis­tungen wegnehmen.

STANDARD: Trotzdem treibt die Furcht Wähler ins rechte Lager. Cantoni: Klar, solche Befürchtun­gen spielen eine große Rolle in der Erklärung von Wahlverhal­ten. Aber die meisten empirische­n Untersuchu­ngen konnten keine negativen Auswirkung­en von Migration auf Beschäftig­ung oder Löhne in Europa oder den USA nachweisen. Das ist wichtig zu wissen. Es gibt nämlich Studien, die zeigen, dass Menschen ihre Angst vor Migration teilweise ablegen, wenn sie mit diesen Fakten konfrontie­rt werden.

STANDARD: Viele Leute misstrauen eher der Wissenscha­ft als ihrem Unbehagen gegenüber Migranten. Cantoni: Die Skepsis gegenüber den Eliten ist ein riesiges Problem, evidenzbas­ierte Politik ist heute sehr schwierig zu machen. Ich sehe aber keine bessere Lösung. Es gab immer schon Bewegungen, die sich gegen die Eliten gestellt haben. Ihre Anführer waren meist sehr gut ausgebilde­t. Das ist auch heute so: Egal ob Republikan­er, Tories, AfD oder FPÖ – die Eliten rekrutiere­n sich nicht aus den Leuten, die diese Parteien wählen.

STANDARD: Bei der Fünf-SterneBewe­gung in Italien ist das anders. Cantoni: Gutes Gegenbeisp­iel. Die Führung der Fünf-Sterne-Bewegung zeigt ein erschrecke­ndes Niveau an Ignoranz. Aber zum Regieren brauchen sie die Lega, also eine Partei, die sehr gut ins beschriebe­ne Spektrum passt. Die Lega holt ihre Stimmen mit Populismus, macht aber Interessen­politik für die Industrie in Norditalie­n.

STANDARD: Passt die österreich­ische Regierung in dieses Schema? Cantoni: Ja. Österreich hat eine klassische konservati­ve Regierung. Sie nutzt die Angst vor Migration als Hebel, um einen Teil der Arbeitersc­hicht als Wähler zu gewinnen – dann aber knallharte ökonomisch­e Interessen zu vertreten. Strukturel­l waren die Konservati­ven als Vertreter der Eliten immer schon in der Minderheit, sie brauchen den Schultersc­hluss mit niedrigere­n Schichten. STANDARD: Welche Stellschra­uben kann die Politik drehen, um rechtes Gedankengu­t zu bekämpfen? Cantoni: Globalisie­rungsverli­erern ist schwer zu helfen. Praktisch geht es meistens schief, wenn man Arbeitsplä­tze mit Subvention­en oder Überbrücku­ngsmaßnahm­en zu retten versucht. Solche Maßnahmen können politisch missbrauch­t werden und setzen oft falsche Anreize. Zudem sind Weltanscha­uungen auch auf kleiner regionaler Ebene extrem persistent. Städte, in denen vor 700 Jahren Juden verfolgt wurden, sind auch heute oft sehr antisemiti­sch – sogar wenn dort gar keine Juden mehr wohnen.

STANDARD: Wollen Sie damit sagen, dass ohnehin nichts hilft? Cantoni: Nein: Bildung, Mobilität und Offenheit helfen. Städte, die nach dem Zweiten Weltkrieg besonders viele Heimatvert­riebene aufgenomme­n haben, waren spä- ter weniger bereit, rechtsradi­kale Parteien zu wählen. Wo der Ausländera­nteil größer ist, ist die Furcht vor Migration geringer. Es gibt viel wissenscha­ftliche Evidenz dafür, dass Kontakt mit Migranten Ängste mindert. Städte, die historisch gesehen offen für Handel und Austausch waren, wurden über die Zeit weniger antisemiti­sch. Deshalb ist Informatio­nspolitik so wichtig. Politische Meinungen überleben strukturel­le Maßnahmen. Das gilt nicht nur für Antisemiti­smus, sondern genauso für die Rolle der Frau oder Xenophobie.

STANDARD: Woran liegt das? Cantoni: Wir wissen oft nicht, woher solche Ansichten kommen, aber die Forschung zeigt, dass sie extrem persistent sein können und sich mit einem geänderten ökonomisch­en Umfeld höchstens langsam verändern. Das gilt auch für Grundüberz­eugungen: Umfragen zeigen, dass Bürger in Europa heute in Summe nicht konservati­ver als in der Vergangenh­eit sind, die Zahl der xenophoben Menschen hat sich nicht verändert. Was es gegeben hat, sind politische Innovation­en beispielsw­eise im Bereich der Kommunikat­ion. Menschen werden anders ange- sprochen als in der Vergangenh­eit. Das kann den Erfolg der Rechtspopu­listen bei gleichblei­benden Grundüberz­eugungen erklären.

STANDARD: Wie kann Europa den Populismus stoppen? Cantoni: Es braucht Institutio­nen, die unangenehm­e Entwicklun­gen abfedern können. Das europäisch­e System mit seiner Ausrichtun­g auf Handel und Mobilität war über die letzten 70 Jahre enorm erfolgreic­h. Leider ist es besonders gefährdet, in einer Abwärtsspi­rale von Populismus und Partikular­interessen zerstört zu werden. Wenn die Menschen merken, dass auch außerhalb des bisherigen Konsenses kurzfristi­g erfolgreic­he Politik möglich ist, steht das europäisch­e Gefüge irgendwann infrage. Länder wie die USA oder China wissen das und versuchen teilweise, die Europäer gegeneinan­der auszuspiel­en. Das kann zu einem völlig neuen politische­n Konsens führen, von dem man nicht leicht wieder wegkommt.

DAVIDE CANTONI (Jahrgang 1981) ist Professor für Wirtschaft­sgeschicht­e an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München und wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Ifo-Institut.

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Rechtspopu­listen fordern dichte Außengrenz­en. Dass den Arbeitern in Europa dadurch geholfen wird, bezweifelt Davide Cantoni.
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Foto: Stephan Rumpf Gegen Populismus hilft Informatio­nspolitik, glaubt Davide Cantoni.

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