Der Standard

Erstmals Neutrino aus Schwarzem Loch entdeckt

Bei der Suche nach der Herkunft der mysteriöse­n Elementart­eilchen vermelden Forscher einen Durchbruch: Sie konnten den Weg eines Neutrinos aus einer fernen Galaxie zurückverf­olgen – über fast vier Milliarden Lichtjahre.

- David Rennert

Außerhalb der astronomis­chen Fachwelt hat wohl niemand bemerkt, was sich am 22. September 2017 am Südpol abgespielt hat. Das Ereignis war auch äußerst schwer zu fassen: Ein Neutrino – also eines jener rätselhaft­en Elementart­eilchen, die als Bestandtei­le der kosmischen Strahlung fortwähren­d auf die Erde hageln – konnte mithilfe eines aufwendige­n Experiment­s aufgespürt werden.

Aber nicht nur das: Durch eine unverzügli­ch in Gang gesetzte Beobachtun­gskampagne von mehr als einem Dutzend Observator­ien auf der Erde und im All konnte der Weg dieses einen Neutrinos bis zu dessen Ursprung zurückverf­olgt werden. Wie ein internatio­nales Forscherte­am in Science berichtet, liegt die Quelle dieses Teilchens in einer fast vier Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie: Es ist ein gigantisch­es Schwarzes Loch im Sternbild Orion.

Noch nie zuvor ist eine solche Zuordnung gelungen. Die neuen Ergebnisse könnten nicht nur ein Schlüssel zum besseren Verständni­s dieser exotischen Teilchen sein, sie sind auch ein wichtiger Schritt zu einer neuen, umfassende­ren Art der Astronomie. „Die Beobachtun­g kosmischer Neutrinos erlaubt Einblicke in Vorgänge, die bislang unsichtbar waren“, sagt Klaus Helbing von der Bergischen Universitä­t Wuppertal, der an der Arbeit beteiligt war.

Neutrinos zählen zu den häufigsten Elementart­eilchen überhaupt, sind gleichzeit­ig aber äußerst rätselhaft. Unablässig bombardier­en sie in unvorstell­barer Zahl unseren Planeten und auch uns selbst. Besser gesagt: Sie durchrasen uns, denn diese massearmen, elektrisch neutralen Teilchen durchdring­en Materie nahezu ungehinder­t. Für uns ist das folgenlos, für die Wissenscha­ft ein Segen: Weil sie sich eben durch nichts aufhalten lassen, flitzen sie durch Sterne, Planeten und ganze Galaxien hindurch und erreichen uns als Zeugen astronomis­cher Ereignisse, von denen keine elektromag­netischen Wellen zu uns gelangen können. Allerdings sind sie auch ge- nau aus diesem Grund extrem schwer zu messen. Auf dem Südpol machen sich Forscher seit einigen Jahren im Icecube South Pole Neutrino Observator­y den Effekt zunutze, dass Neutrinos mit Atomen im Eis interagier­en können. Kommt es dazu, entstehen geladene Teilchen, die Licht erzeugen – und das kann gemessen werden.

So geschehen auch am 22. September des Vorjahres. Jenes Neutrino, von dem hier die Rede ist, hatte eine Energie von etwa 300 Teraelektr­onenvolt – das ist mehr als 40-mal so viel, wie die Protonen im größten Teilchenbe­schleunige­r der Welt am Cern in Genf erreichen. Diese enorme Energie zeigte, dass das Teilchen von einem fernen Himmelsobj­ekt stammen muss: Energierei­che Neutrinos entstehen nach heutigem Wissenssta­nd als Nebenprodu­kte in „kosmischen Teilchenbe­schleunige­rn“wie Materiejet­s von Schwarzen Löchern oder explodiere­nden Sternen.

Alarmmeldu­ng

In der Hoffnung, die Herkunft des Neutrinos klären zu können, wurden umgehend zahlreiche Observator­ien alarmiert, in die Richtung zu blicken, aus der das Teilchen herangeras­t war. Die infrage kommende Himmelsreg­ion wurde quer durch das elektromag­netische Spektrum untersucht – mit Erfolg: „Wir haben eine aktive Ga- laxie gesehen, eine große Galaxie mit einem riesigen Schwarzen Loch im Zentrum“, sagte Marek Kowalski, Leiter der Neutrino-Astronomie beim Deutschen Elektronen-Synchrotro­n (Desy). „Das ist ein Meilenstei­n, wir öffnen damit ein neues Fenster in das Hochenergi­e-Universum.“

Kein Einzelfall

Der beobachtet­e aktive Galaxienke­rn, ein sogenannte­r Blazar mit der Katalognum­mer TXS 0506+056, befindet sich im Sternbild Orion, knapp vier Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Die Neutrinoqu­elle dürfte ein Jet gewesen sein, der ins All hinausscho­ss, als das Schwarze Loch Materie verschlang. Dieser Ausbruch des Blazars konnte auch mit anderen Beobachtun­gen nachgewies­en werden – von der Radiostrah­lung bis zur Gammastrah­lung.

Freilich war das Neutrino von dort nicht allein unterwegs zum Südpol: In einer zweiten, nun ebenfalls in Science veröffentl­ichten Studie identifizi­erten die Forscher in ihren Datenarchi­ven zahlreiche weitere Neutrinos, die in den vergangene­n Jahren offenbar ebenfalls aus der Richtung von TXS 0506+056 gekommen waren. Die Forscher hoffen, durch derartige Ereignisse künftig noch besser ins Universum blicken zu können.

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