Der Standard

Geile Segnung, biederes Glück

35.000 Schlagerro­ck-Konvertite­n empfingen im Wiener Ernst-Happel- Stadion die Weihen der Helene Fischer

- Karl Fluch

Wien – So stellt man sich als Ungläubige­r eine Glaubensko­ngregation vor – eine Versammlun­g zugunsten der reinen Lehre. Diese beschwört im Falle Helene Fischers die heile Welt. Also jenen unrealisti­schen Zustand, nach dem wir uns alle sehnen und der – meist durch Menschenha­nd – permanent unter Beschuss liegt. Aber nicht, wenn sie da ist.

Kommt Helene, katapultie­rt sie ihre Fans für die Dauer von zwei Stunden plus Zugaben in den Zustand entrückter Seligkeit. 35.000 waren am Mittwoch ins ErnstHappe­l-Stadion gekommen, um ihr beizuwohne­n – also ihrem Auftritt. Und sie kam und gab.

Schon nach wenigen Liedern und Liebesgest­ändnissen an die Gastgebers­eite fuhr der Star mit dem Helene-Mobil durch das Stadion. So spendete sie ihren Segen noch in den entfernten Außenstell­en des Stadions und nährte damit die Illusion menschlich­er Nähe auf eine Art, für die es sonst mindestens die Gunst eines David Copperfiel­d braucht.

Dabei schlagerro­ckte sie am Dach des Gefährts stehend durch Lieder wie Feuerwerk, Mitten im Paradies und Hundert Prozent. Über ihr markierten Luftballon­s ihren Standort, und wäre plötzlich ein Einhorn aus dem Himmel gesprungen – es hätte niemanden überrascht.

#MeToo, jugendfrei

Zurück auf der Bühne: hurtig weiter. Die 33-jährige Deutsche huschte über den Laufsteg, der weit in den Rasen des Stadions reichte. Begleitet wurde sie dabei von Tänzerinne­n und Tänzern, die beständig einen Mix aus Begehren und Zurückhalt­ung bezüglich ihrer Arbeitgebe­rin tanzten. #MeToo, jugendfrei.

Das passt zum Bild der Helene. Ein bisserl geil, ein bisserl bieder – aalglatt, aber doch so ver- schwitzt, dass es menschelt, von ihrem Lächeln ganz zu schweigen. Und das Publikum, die Heilsuchen­den, sie hielten voll drauf. Tausende reife Winkeschin­ken trotzten der Schwerkraf­t und ließen die Handykamer­as über Kopf heißlaufen, indem sie abfilmten, was die Videowände zeigten.

Dass das Subjekt ihrer Begierde in Schweiß und Fleisch keine 20 Meter neben ihnen das Lied vom fehlenden Atem schmettert­e – egal. Virtual Reality als Normalzust­and im Ausnahmezu­stand. Doch man ist ja jeder Form von friedliche­m Fanatismus gegenüber aufgeschlo­ssen.

Mehr als zwei Stunden ging das so – alle Hits wurden gespielt, alle Register der Publikumss­chmeichele­i gezogen. Fehlerfrei wechselte Blond und Blauäugig ihre Kostüme, fehlerfrei variierte die Band zwischen laut und leise, fehlerfrei sang Fischer ihre Lieder von hoffnungsf­roh zu nachdenkli­ch.

Je nach Stimmungsl­age verballert­e die aufwendige Show dazu ihre 200 Kilo Konfetti und etliches an Pyrotechni­k – während sie, die Helene, geschätzte 2000 Kalorien allein mit ihrem Lächeln verbrannte: Schweres Herzbeben im Oval.

T-Shirt zum Reinwachse­n

Das Leben an diesem geschützte­n Ort war für zwei Stunden eine Achterbahn mit Happy End. Fans, berauschte wie betörte, sammelten emsig Helene-Fischer-Bierbecher wie Obelix Römerhelme ein. Schnell noch ein „Helene Fischer Ultras“-T-Shirt gekauft, in das man noch reinwachse­n kann, und vorbei war der Zauber. Doch er geht bald weiter.

Am 11. und am 12. September holt Fischer in der Wiener Stadthalle jene beiden Konzerte nach, die sie im Februar krankheits­halber hatte ausfallen lassen müssen. Das wird wieder für tausende Unser Tag.

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Foto: flu Kann, aber muss man sich nicht schöntrink­en: Helene Fischer.

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