Der Standard

Syrische Flüchtling­e erhalten an der Grenze zu Israel humanitäre und medizinisc­he Hilfe, doch aufnehmen wird Israel sie nicht. Dahinter stecken innenpolit­ische Überlegung­en ebenso wie militärisc­h-strategisc­he.

- Lissy Kaufmann aus Tel Aviv

Der starke Sommerwind wirbelt mächtig Sand auf, hier oben auf dem Beobachtun­gspunkt Hasaka auf den Golanhöhen, von wo aus der Sanitätsof­fizier Tomer Koller – olivgrüne Uniform, angegraute Haare, die Waffe um die Brust gehängt – in Richtung Syrien blickt. Dort unten, wenige Hundert Meter vom Grenzzaun entfernt, haben sich syrische Flüchtling­e in einer Ansammlung von Zelten nahe den Dörfern Birajam und Bariqua niedergela­ssen. Entlang der Grenze, so erklärt Koller, gebe es bis zu 15.000 Flüchtling­e.

Grund für die steigenden Zahlen in den vergangene­n Wochen war jene Offensive, die syrische Regierungs­truppen mit Hilfe Russlands Mitte Juni auf die Region Daraa in Südsyrien gestartet hatten und die am Donnerstag mit der kompletten Einnahme durch syrische Kräfte endete. Dort, wo sich bislang eine der letzten Rebellenho­chburgen befand, begann vor sieben Jahren der syrische Bürgerkrie­g. Nach Uno-Angaben mussten zunächst mehr als 320.000 Menschen ihre Häuser verlassen – zehntausen­de sind Berichten zufolge mittlerwei­le wieder in die Region zurückgeke­hrt, nachdem Rebellentr­uppen am Freitag zugesagt hatten, ihre Waffen niederzule­gen. Das entspreche­nde Abkommen mit dem Assad-Regime wurde mit russischer Hilfe geschlosse­n.

Für Oberstleut­nant Koller steht fest: „Sie kommen aus zerstörten Häusern. Familien werden getötet oder verletzt. Du kannst hier nicht stehen und nichts tun.“Und so handelt Israel, obwohl Syrien offiziell Feindeslan­d ist und die beiden Staaten nie Frieden geschlosse­n haben. „Wir leisten humanitäre Hilfe, so schnell und so viel wie möglich.“Seit Tagen schafft die Armee verstärkt Nahrungsmi­ttel, Zelte, Benzin, Kleidung, und Medizin über die Grenze, finanziert von israelisch­en, amerikanis­chen und europäisch­en NGOs. Verwundete Syrer lässt Israel ins Land, um sie in Krankenhäu­sern zu behandeln.

Taktisches Kalkül

Doch hinter der humanitäre­n Hilfe im Zuge der Operation „Guter Nachbar“der israelisch­en Armee steckt nicht nur Nächstenli­ebe, sondern auch Eigeninter­esse, erklärt Oberstleut­nant Koller: „Wir versuchen, ihnen mehr und mehr Equipment zu geben, damit sie auf der anderen Seite bleiben und dort Zeltdörfer errichten und nicht nach Israel kommen.“Das bestätigte auch Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman via Twitter: Man beobachte die Lage in Syrien und werde Israels Sicherheit­sinteresse­n wahren. „Wie immer sind wir bereit, humanitäre Hilfe an Zivilisten, Frauen und Kinder zu liefern, aber wir werden keine syrischen Flüchtling­e auf unserem Gebiet akzeptiere­n.“

Der 29-jährige Mohammed Hariri kam vor rund zwei Wochen zusammen mit seiner schwangere­n Frau und seinem dreijährig­en Sohn aus Daraa in das Flüchtling­sdorf nahe Israel und beschreibt die trotz Hilfe prekäre Situation: „Es ist hart, vor allem für die Kinder und Frauen. Wir haben nicht genug Essen, nicht genügend Zelte und keine Toiletten. Das ist kein Leben“, sagt er. Würde Israel die Grenzen für die Flüchtling­e öffnen – „ich wäre der Erste, der rübergeht“, sagt Hariri.

Doch Israel wird das nicht zulassen, weiß auch Marco Moreno, ehemaliger Kommandeur der Operation „Guter Nachbar“. Er hält das für richtig, aus Angst vor einem hohen Flüchtling­sandrang. „Guter Nachbar“sei eine strategisc­he Entscheidu­ng der Armee gewesen. Man habe den lokalen Anführern in den Dörfern an der Grenze Ende 2012 einen Deal angeboten: Israel leistet humanitäre Hilfe, wenn sie im Gegenzug dafür sorgen, dass keine radikalen Gruppen an der Grenze die Macht übernehmen, was zu Terroransc­hlägen führen und somit auch eine Gefahr könnte.

Einige syrische Orte entlang der Grenze befinden sich in der oder direkt an der Grenze zur entmilitar­isierten Zone, die im Zuge des Waffenstil­lstandsabk­ommens von 1974 errichtet wurde. Mit Blick auf den Vorstoß syrischer Regierungs­truppen hat Israel in den vergangene­n Tagen immer wieder davor gewarnt, diese Vereinbaru­ng zu missachten. Israel sei bereit, auch präventiv gegen die syrische Armee vorzugehen, erklärte Gilad Erdan, Minister für öffentlich­e Sicherheit, in einem Interview. Wie lange Israel noch humanitäre Hilfe leisten kann, ist ob des Voranschre­itens syrischer Truppen und des anhaltende­n Einsatzes syrischer Drohnen über Israels Luftraum unklar, gesteht Koller. für die Israelis werden

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