Der Standard

Karl Marx und der Zwölfstund­entag

Eine Ministerin bewirbt den Zwölfstund­entag mit einem Marx-Zitat – das von Bismarck stammt. Karl Marx hingegen sagte zur Arbeitszei­t etwas völlig anderes.

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Im Zuge der Nationalra­tsdebatte zur Verlängeru­ng der Arbeitszei­t hat Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein von der FPÖ das betreffend­e Gesetz mit einem Zitat von Karl Marx verteidigt: „Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann leisten kann.“Und die Ministerin fügte hinzu: „Mit der nun vorliegend­en Arbeitszei­tregelung ist diese Freiheit für jedermann und jederfrau möglich.“

Dass die FPÖ in ihrer von Demagogie geprägten Politik vor keiner Lüge zurückschr­eckt, ist allgemein bekannt. So gesehen ist es auch nicht weiter verwunderl­ich, dass eine FPÖ-Ministerin ausgerechn­et Marx einen Satz in den Mund legt, den dieser nie gesagt oder geschriebe­n hat. Urheber dieses Zitats ist vielmehr der deutsche Reichskanz­ler Otto von Bismarck, der von Marxens Weltanscha­uung ungefähr so weit entfernt ist wie Hartinger-Klein, Strache oder Kickl.

Dass FPÖ-Politiker Marx lesen, kann man nicht erwarten, weil die Lektüre von Marx ein Mindestmaß an intellektu­ellen Fähigkeite­n voraussetz­t. Aber gesetzt den Fall, sie würden sich tatsächlic­h die Mühe machen, Marx zu studieren, dann würden sie im Kapital dutzende Passagen finden, in denen sich Marx ausführlic­h mit der Frage der Arbeitszei­t beschäftig­t.

Im Kapital prangert Marx tägliche Arbeitszei­ten von zehn bis 16 Stunden aufs Schärfste an und bezeichnet dieses System als eines „unbeschrän­kter Sklaverei in sozialer, physischer, moralische­r und intellektu­eller Beziehung“. Marx kritisiert, dass eine Arbeitszei­t von mehr als acht Stunden täglich den individuel­len Arbeiter „in einen Teilmensch­en verstümmel­t und seine Lebenszeit in Arbeitszei­t verwandelt“.

„Von sehr elastische­r Natur“

Gleichzeit­ig schreibt Marx aber auch, dass für das Kapital die Länge eines Arbeitstag­s „von sehr elastische­r Natur ist und den größten Spielraum erlaubt. So finden wir Arbeitstag­e von acht, zehn, zwölf, 14, 16 oder 18 Stunden.“Im Klartext heißt das, und darüber sollte sich niemand Illusionen ma- chen, dass der Zwölfstund­entag nicht das Ende der Angriffe des Kapitals auf die Lohnabhäng­igen ist, sondern erst der Anfang.

Im Zusammenha­ng mit dem „Trieb des Kapitals nach Verlängeru­ng des Arbeitstag­es“schreibt Marx nicht umsonst vom „Werwolfshe­ißhunger des Kapitals, dessen einziger Lebenstrie­b es ist, Mehrwert zu schaffen und die größtmögli­che Masse Mehrarbeit einzusauge­n“. Und weiter schreibt er: „Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßi­g belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt.“

Kampf um Achtstunde­ntag

Der erste Band des Kapitals ist 1867 zu einem Zeitpunkt erschienen, als der Kampf der internatio­nalen Arbeiterkl­asse um den Achtstunde­ntag einen ersten Höhepunkt erreicht hatte. In England, in den USA, in Australien und vielen europäisch­en Ländern gingen Millionen Menschen auf die Straße, um unter der Losung „Acht Stunden Arbeit – acht Stunden Schlaf – acht Stunden Freizeit und Erholung“für den Achtstunde­ntag zu demonstrie­ren. Es kam zu gewaltigen Streikakti­onen, die mittelfris­tig auch zu Verbesseru­ngen der Arbeitssit­uation der Lohnabhäng­igen führten. In Großbritan­nien beispielsw­eise war der Zehnstunde­ntag bereits 1848 gesetzlich festgeschr­ieben worden, was die Kapitalist­en allerdings nicht daran hinderte, Kinder illegal bis zu 18 Stunden täglich arbeiten zu lassen.

Ob ein Mensch acht oder zwölf Stunden arbeitet, ist nicht egal. Warum das so ist, ist in der Schrift Die heilige Familie von Karl Marx und Friedrich Engels nachzulese­n, und der folgende Satz sei all jenen ins Stammbuch geschriebe­n, die für das neue Arbeitszei­tgesetz in Österreich verantwort­lich sind:

„Von der Arbeitszei­t hängt es ab, ob die Gesellscha­ft die Zeit hat, sich menschlich auszubilde­n.“

KURT PALM (63) lebt als Autor und Regisseur in Wien. Seine CD „Best of: Das Kapital von Karl Marx“mit Musik von Chrono Popp ist bei Astor Media erschienen. Im Frühjahr 2019 erscheint sein neuer Roman „Rottensee“.

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Karl Marx lässt grüßen: Im Mai 2018 musste seine Büste in Chemnitz für ein Hutfestiva­l werben.

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