Der Standard

Österreich: Wenn aus guten Ländern böse werden

Kritischer Blick auf die EU-Asyl- und -Migrations­pläne der Wiener Ratspräsid­entschaft aus paneuropäi­scher NGO- Sicht

- Catherine Woollard

Bis etwa 2015 war Österreich ein Liebling der NGOs in Brüssel: ein EU-Mitgliedst­aat, der willens war, die Menschenre­chte in der EU innenwie außenpolit­isch zu fördern, und froh, die Zivilgesel­lschaft zu unterstütz­en. Obwohl es sich nicht so überpropor­tional einbrachte wie die anderen Neumitglie­der von 1995, Schweden und Finnland, wurde es als eine ebensolche positive Kraft gesehen.

All das ist zu Beginn des Ratsvorsit­zes Österreich­s 2018 Vergangenh­eit. Bei vielen beschwört die Präsidents­chaft Angst und dunkle Vorahnunge­n herauf, die sich multiplizi­eren, weil sie von vielen Vertretern quer durch sämtliche EU-Institutio­nen geteilt werden. Die Sorgen zentrieren sich um eine Reihe zusammenhä­ngender Probleme: die Haltung der österreich­ischen Regierung zu Asyl und Migration; ihre Nähe zu den demagogisc­hen Regierungs­chefs bestimmter Länder; ihre grundlegen­de Anti-EU-Haltung; ihr Buhlen um Russland. Österreich­s Fähigkeit, die Rolle der EU- Ratspräsid­entschaft zu erfüllen, wird deshalb infrage gestellt. Die dazu nötige Neutralitä­t könnte fehlen.

Die aus Wien kommende toxische Asyl- und Einwanderu­ngspolitik ist gut bekannt. Die Vorhut der Präsidents­chaft versucht seit 18 Monaten, ihre Agenda in Brüssel durchzubri­ngen. Weitere Auslagerun­gsideen wurden beim EURat für Justiz und Inneres und diese Woche beim Ausschuss für Zusammenar­beit im Bereich der inneren Sicherheit vorgestell­t.

Greatest Hits der Auslagerun­g

Mit dem angegebene­n Ziel einer Null-Asylanträg­e-Politik in der EU lesen sich die Vorschläge wie ein Greatest Hits der Auslagerun­g: ausgelager­te Abwicklung von Asylanträg­en (das goldene Ticket – willige Gastgeber werden noch gesucht); Lager in den Balkanländ­ern (Copyright Tony Blair 2003); Anhaltelag­er an den Außengrenz­en der EU (wie ein Viktor-OrbánPilot­projekt).

Es gilt, zwei Bereiche im Auge zu behalten, wo größerer Schaden angerichte­t werden könnte: der Balkan und die innenpolit­ische EU-Landschaft. Im Westbalkan ist der Beitrittsp­rozess ein starker Motivator, der Preis einer EU-Mitgliedsc­haft und die Anerkennun­g der Fortschrit­te auf dem Weg dazu sind bedeutend genug, um Mitglieds- und Kandidaten­länder zur Kooperatio­n zu bringen.

Österreich hat hier, anders als in anderen Regionen, die Präsenz und das Wissen, um Einfluss auszuüben, wie schon beobachtet bei seiner Unterstütz­ung der Vereinbaru­ng im Februar 2016, die zur Schließung der Balkanrout­e führte. Sollten Länder nun für Einwanderu­ngskontrol­len belohnt werden, die in Prozessen außerhalb des Beitrittsr­ahmens verhandelt werden, werden diese Prozesse kaum den gleichen positiven Transforma­tionseffek­t haben.

Hinzu kommt die massive Umkehr bei demokratis­chen Stan- Stellt Neutralitä­t Österreich­s im Zuge der Ratspräsid­entschaft infrage: Woollard. dards und der Achtung vor Rechtsstaa­tlichkeit in manchen Ländern seit zehn Jahren. Weder Ungarn noch Polen würden jetzt die Kopenhagen­er Kriterien für eine EU-Mitgliedsc­haft erfüllen. Das ruft nach rascher Einführung und Durchsetzu­ng stärkerer Standards für Mitgliedst­aaten.

„Grausame Maßnahme“

Das zweite Gebiet, auf dem Österreich erhebliche­n Schaden anrichten könnte, ist die Einglieder­ung von Flüchtling­en in der EU. Maßnahmen auf nationaler Ebene und die in EU-Besprechun­gen genutzte Rhetorik zeigen Pläne, ein feindliche­s Umfeld zu erschaffen. Ein Vorschlag wie die Verlängeru­ng der Frist, um als anerkannte­r Flüchtling in Österreich die Staatsbürg­erschaft zu erlangen, von sechs auf zehn Jahre, ist eine grausame Maßnahme ohne jeden Nutzen. Sie versetzt Menschen in einen Zustand der Ungewisshe­it und stempelt sie weiter als „Flüchtling­e“ab.

Die Anti-Migrations-Elemente in den Regierunge­n Polens, Ungarns, Italiens, Deutschlan­ds (in der CSU) wie auch in Öster- reich haben sowohl die narrativen – Missbrauch von Statistike­n, rassistisc­he Sprachbild­er, Islamophob­ie – als auch die restriktiv­en Maßnahmen gemeinsam. Ausgangspu­nkt ist, dass „Integratio­n versagt hat“oder „unmöglich“ist. Europa soll wieder ein homogener, weißer, christlich­er Ort werden (was es niemals war).

Ein solches Vorgehen kann zu einer selbsterfü­llenden Prophezeiu­ng werden: Man verbietet den Betreffend­en zu arbeiten und klagt dann, dass sie von Sozialhilf­e abhängig sind; man besteht auf regelmäßig­e Überprüfun­g ihres Aufenthalt­sstatus, sie werden für Arbeitgebe­r unattrakti­v, und dann klagt man, dass sie nicht arbeiten. Die soziale Spannung, die daraus erwachsen kann, wird auf kurze Sicht Parteien zugutekomm­en, die von der Angst anderer lebt.

CATHERINE WOOLLARD ist Generalsek­retärin des European Council on Refugees and Exiles (Ecre), einer paneuropäi­schen Non-Profit-Organisati­on mit Sitz in Brüssel, die 99 asylunters­tützende Organisati­onen in 40 Ländern bündelt. p https://www.ecre.org/editorial-aus

tria-when-good-countries-go-bad

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