Der Standard

Wo die Strände schrumpfen und wo sie wachsen

-

Werden die Prognosen zum Strandster­ben also das gleiche Schicksal ereilen wie einst die Vorhersage­n zum nie eingetrete­nen Waldsterbe­n durch sauren Regen? Eher nicht. Denn selbst der Studienlei­ter Arjen Luijendik relativier­t seine eigene Untersuchu­ng. Sie erfasse lediglich den Faktor der natürliche­n Erosion, dem andere Faktoren entgegenst­ünden. Für den größten Teil der Strandzuwä­chse in seiner Studie sei der Mensch verantwort­lich – und der Mensch trage auch die größte Verantwort­ung für das Verschwind­en von Stränden.

Weltweit werden rund 15 Milliarden Tonnen Sand pro Jahr abgebaut. Die Methoden reichen von Einheimisc­hen, die Sand vom Strand auf Pick-ups schaufeln bis hin zu multinatio­nalen Unternehme­n. Aber nicht jeder Sand eignet sich zur Herstellun­g von Asphalt und Zement: Wüstensand ist zu rund geschliffe­n und zu fein. Die Bauwirtsch­aft deckt ihren Bedarf daher mit Sand aus dem Meer, aus Flüssen und von Küsten. Das hat

gravierend­e Folgen für die Umwelt, wie Torres erklärt.

Die Entfernung von Sedimenten und Gewässerbö­den ist für bodenleben­de Arten eine große Bedrohung, Korallen und Seegraswie­sen werden geschädigt. Aufgewühlt­e Sedimente trüben das Wasser, ersticken Fische und blockieren das Sonnenlich­t, das die Unterwasse­rvegetatio­n braucht.

Dramatisch sind die Auswirkung­en durch den Abbau von Meeressand in Indonesien: Seit 2005 wurden mindestens zwei Dutzend Inseln ausgelösch­t. Das Material landet meist in Singapur, wo Land aus dem Meer gewonnen wird. Der Stadtstaat hat in den vergangene­n 40 Jahren mehr als 50 Quadratkil­ometer geschaffen.

In Indien haben die hohen Gewinne kombiniert mit illegalem Sandabbau und Umweltschä­den zu Bandenkrim­inalität geführt. Torres spricht in diesem Zusammenha­ng von einer Sandmafia, die auf illegale Gewinnung spezialisi­ert ist: „Sie gilt als eine der gewalttäti­gsten Gruppierun­gen des organisier­ten Verbrechen­s in Indien. Bis heute wurden mehrere Hundert Menschen in regelrecht­en Sandkriege­n getötet.“

Mord und Raubbau

Sumaira Abdulali kann aus erster Hand von der Situation in Indien berichten. Ihr Kampf begann 2002. Damals verbrachte sie eine Nacht im Ferienhaus ihres Großvaters in Kihim, südlich von Mumbai. Das sanfte Rauschen der Wellen wurde durch Baggerarbe­iten und laute Rufe unterbroch­en. In der Früh waren am Strand tiefe Löcher zu sehen.

Abdulali gründete in Folge die NGO Awaaz, die sich gegen den Raubbau einsetzt. Es handelt sich um ein strukturel­les Problem, sagt die Inderin dem STANDARD: „Politiker sind oft die Eigentümer oder unterstütz­en den illegalen Sandabbau. Regierungs- und Polizeibea­mte sind in Gefahr, es gab eine Welle von Angriffen und Morden.“Für ihre Arbeit wurde auch Abdulali mit dem Tod bedroht.

Verwässeru­ngen von Richtlinie­n hätten dazu geführt, dass bisher illegaler Sandabbau legalisier­t wurde. Die Nutzung für die Aufschüttu­ng von Stränden sei in Indien noch eine neue Idee, die die Regierung nur um Mumbai verwirklic­hen will. Abdulali: „Es wäre traurig, die Strände im Rest des Staates nur für die Verschöner­ung Mumbais aufzugeben.“

Die Ärmsten in der Gesellscha­ft bringen sich dafür sogar in Lebensgefa­hr. Sie tauchen bis zu 15 Meter tief und ohne Ausrüstung in Flüssen nach Sand. Das ist lukrativ, aber gefährlich, da es sich um Gezeitenbä­che handelt. „Die Taucher verdienen nur bis zu 15 Euro an einem Tag“, sagt Abdulali. Hinzu kommt, dass in den industrier­eichen Gebieten das Wasser stark verschmutz­t ist.

„Mit Sand ist es wie mit Wasser. Wir glauben, dass er reichlich vorhanden ist“, zieht die Forscherin Aurora Torres ihre Schlüsse. Kosten beim Abbau verursache­n nur die Maschinen, der Transport, die Löhne und die Pacht für das Gelände – zumindest im Fall legaler Gewinnung. Der Sand selbst kostet nichts. Und wenn er knapp wird, holt man ihn sich eben woanders.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria