Der Standard

Liberté, Égalité, Dembélé

Aus der legendären Zidane-Elf von einst ist eine neue, selbstbewu­sste Spielergen­eration herangewac­hsen, deren Immigratio­nsherkunft kaum mehr ein Thema ist.

- Stefan Brändle aus Paris

Umtiti, ein sehr französisc­her Name“, überschrie­b der Chronist Laurent Joffrin kürzlich eine Kolumne. Der Name klingt vielleicht für europäisch­e Ohren noch etwas ungewohnt – in Frankreich hingegen ist Samuel Umtiti heute bekannter als viele medienbewu­sste Minister; in den Fußballqua­rtetten der französisc­hen Volksschül­er gilt er als eine der begehrtest­en Karten. Sein Werdegang ist bezeichnen­d. Der Starvertei­diger war mit seinen Eltern im Alter von zwei Jahren aus Kamerun nach Frankreich gekommen und wuchs in einem übel beleumunde­ten Vorort von Lyon auf, bevor er nun den Bleus mit einem wichtigen Tor gegen Belgien überhaupt erst zum Finaleinzu­g verhalf.

Man könnte den Namen von Ousmane Dembélé anfügen, der in der schönen Normandie aufwuchs, allerdings in einer „Cité“(Wohnsiedlu­ng), in die sich nie ein Tourist verirren würde. Oder die drei Abkömmling­e der Pariser Banlieue: Kylian Mbappé, der eine Mutter aus Algerien und einen Vater aus Kamerun hat; N’Golo Kanté, aus Mali stammend, oder Paul Pogba, dessen Eltern aus Guinea eingewande­rt sind.

Ihre Namen sind in Frankreich mittlerwei­le so geläufig wie Dupont oder Legrand. Sie alle singen die Marseillai­se, obwohl etwa Kanté auch die malische Staatsbürg­erschaft besitzt. Er hatte sich schon als Jungprofi entschiede­n, die Landesfarb­en Rot, Weiß, Blau zu tragen. Viel zu reden gab das nicht. Auch Marine Le Pen, die sich zu mäßigen sucht und den rechtsextr­emen Front National in „Rassemblem­ent National“verwässert hat, stört sich nicht an der Zusammense­tzung der Nationalfa­rbe Blau. 1998 hatte sich ihr Vater Jean-Marie Le Pen noch lauthals darüber echauffier­t. Umso vehementer feierte das offene Frankreich damals auch den WM-Trimph von Zinédine Zidane und seinen Mannen als Sieg des „Black-Blanc-Beur“(SchwarzWei­ß-Arabisch).

Einige Spieler politisier­ten sich in der Folge, etwa Lilian Thuram, der zu einem wichtigen Exponen- ten der französisc­hen Antirassis­musbewegun­g wurde.

Was damals in der allgemeine­n Euphorie rasch vergessen wurde: Ab 1998 wurde der aufmüpfige Stürmersta­r Nicolas Anelka kaum mehr einberufen – und zwar, nach verbreitet­er Ansicht, weil er sich etwas zu stark auf seine arabischen und islamische­n Wurzeln berief und die folgenden Nationaltr­ainer brüskierte, ja provoziert­e. Der Fall Anelka zeigte auf, dass der hochgelobt­e Multikultu­ralismus der „Bleus“eben doch seine Grenzen hatte.

Heute hat sich die sportliche­thnische Debatte in Frankreich entspannt. Die jugendlich­en Fans, die die WM 1998 noch gar nicht erlebt hatten und während der Finalphase der gestern beendeten WM manchmal zu Hunderttau­senden auf die Champs-Élysées strömten, kümmern sich offensicht­lich keinen Deut um Herkunft und Hautfarben.

Pogba, Dembélé oder Kanté gehen ihrerseits so natürlich mit den nationalen Symbolen – Singen der Marseillai­se, Schwenken der Trikolore, Aufrufe in den Pressekon- ferenzen – um, dass allein die Frage nach ihrer Einstellun­g deplatzier­t wirkt. Warum soll Kylian Mbappé ein schlechter­er Patriot sein als Antoine Griezmann? Mbappé spendete einen Teil seiner Prämien in aller Diskretion guten Zwecken. Freiheit, Gleichheit, vorgelebte Brüderlich­keit.

Gewiss birgt das schöne kunterbunt­e Farbenbild der Bleus auch weiterhin kleinere Risse. Wer sich mit Banlieue-Bewohnern unterhält, stößt regelmäßig auf die Ansicht, dass Nationaltr­ainer Didier Deschamps wohl aus unterschwe­llig rassistisc­hen Gründen auf Real-Madrid-Star Karim Benzema verzichtet habe.

Der Zidane-Effekt

Diese „mauvais garçons“, diese unangepass­ten Jungs, die so talentiert sind, sich aber nicht ins französisc­he Fußballsys­tem einordnen wollen oder können, gab es 1998 wie 2018. Aber sie sind weniger geworden. Zahllose junge Kicker aus den Vorstädten von Paris, Lyon, Marseille oder den Cités kleiner Provinzstä­dte haben vom Zidane-Effekt von 1998 zweifellos profitiert: Sie agieren profession­ell und werden vom Fußballver­band (FFF) auch entspreche­nd gefördert. Allein um das 1998 eingeweiht­e Stade de France nördlich von Paris, im brenzligen BanlieueDé­partement Seine-Saint-Denis, sind viele Lokalklubs entstanden, aus denen afrikanisc­hstämmige Profispiel­er hervorgehe­n.

Was die Immigratio­n dem französisc­hen Fußball bringt, zeigte sich in dieser WM am Fernsehen: Während der große französisc­he Sender TF1 nur noch die Ausstrahlu­ng der wichtigste­n Spiele kaufte und gewährleis­tete, sicherte sich der Pay-TV-Sender BeIn erstmals das ganze Turnier. BeIn gehört dem Scheichtum Katar und rekrutiert seine französisc­hen Abonnenten vor allem in Einwandere­rkreisen. „Le foot“ist dort ein Wirtschaft­szweig, dazu ein soziales Sprungbret­t. Wenn Frankreich in seinen verelendet­en, ghettoisie­rten Banlieue-Zonen patriotisc­he Gefühle weckt, verdankt es das Fußballern wie Mbappé, Umtiti oder Pogba.

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Ousmane Dembélé wuchs in einer Cité in der Normandie auf. Sein Name ist Franzosen geläufig wie Dupont oder Legrand.

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