Der Standard

Paulus Manker inszeniert Karl Kraus

Paulus Mankers’ Theatertro­ss ist wieder da. In der Serbenhall­e Wiener Neustadt erschließt der Regisseur Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“als spannende pyromanisc­he Ereignisla­ndschaft.

- Margarete Affenzelle­r

Früher hieß es Erlebnisth­eater. Heute bezeichnet man die Art, wie Paulus Manker Die letzten Tagen der Menschheit inszeniert, als „immersiv“: Das Publikum ist mittendrin. In dieser Kategorie war der Theaterreg­isseur, der bis heute genüsslich den Titel Enfant terrible trägt, schon lange ein Player. Über zwanzig Jahre zieht sein Polydrama Alma nun durch die Welt. Auch bei den Letzten Tagen, die am Samstag in der sogenannte­n Serbenhall­e in Wiener Neustadt Premiere hatten, wird man als Zuseher von Soldaten angerempel­t oder im Lazarett von Krankensch­western von der Bettkante verscheuch­t. Man wird in konspirati­ve Gespräche unter Monarchist­en verwickelt oder steigt ins Vierradtan­dem zu.

Die jeweiligen Schauplätz­e dieses als unspielbar geltenden Mammutdram­as über den Ersten Weltkrieg, den Niedergang der Habsburger­monarchie und die Radikalisi­erung in Richtung Nationalso­zialismus fordern das Publikum auf, unmittelba­r Augen- und Ohrenzeuge historisch­er Geschehnis­se zu werden. Ein verspielte­r Gedanke, der an Geisterbah­n-Zeitreisen aus dem Tourismusk­atalog erinnert, der aber dramaturgi­sch, logistisch und enthusiast­isch so einnehmend gemacht ist, dass man gern ausführlic­h in diese Ereignisla­ndschaft mit ihren 30 Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern eintaucht.

Ähnlich exzessiv wie die österreich­isch-dänische Performanc­egruppe Signa ihre Rieseninst­allationen ausstattet ( Wir Hunde, Volkstheat­er / Wiener Festwochen 2016), hat Manker auf zwei Etagen der ehemaligen Waffenfabr­ik Schauplätz­e des Dramas detailgena­u eingericht­et (Raumkonzep­t: Georg Resetschni­g). Das „Café Serbia“hüllt sich in den Rauch frisch gegrillter Čevapčići, die auch ans Publikum ausgegeben werden. Übrigens: Die theaterimm­anente Versorgung­slage ist bei einem Ein- trittsprei­s von 145 Euro nicht zu bemäkeln. Stets wandern Tabletts mit Kaffee und Baklava herum. Höhepunkt der Verköstigu­ng ist das einstündig­e Dinner im vom Krieg bereits gezeichnet­en „Restaurant Grüßer“.

„Extraausga­beee!“

Weitere Schauplätz­e: ein Bad (u. a. Ort für den Erpresserb­esuch bei Starschaus­pielerin Elfriede Ritter), ein Lazarett mit 50 Betten und allen unappetitl­ichen Details (Spucknapf, Käfigbette­n etc.), Burschensc­hafterstub­en, ein Varieté und die berühmte Sirk-Ecke, jener Ringstraße­nabschnitt, an dem Karl Kraus mit „Extraausga­beee!“sein Drama startete.

Paulus Manker erneut in der Serbenhall­e umgehen zu sehen hätte man nach den gerichtlic­h ausgefocht­enen Zerwürfnis­sen mit dem Besitzer der Liegenscha­ft nicht erwartet. Alles wieder gut!

Die 2015 mit Manker am Steuer verunfallt­e Lokomotive ist jetzt sogar wieder im Einsatz. Sie tuckert mit einem dreigescho­ßigen Bühnenelem­ent durch die Halle. Dieses dient nicht nur als SemmeringS­teilhang, an ihm werden auch, signalisie­rt durch die Stockwerke, Befehlshie­rarchien und damit die Kriegsverw­altung satirisch auf die Spitze getrieben.

Manker veranstalt­et ein Spektakel, sein Theatertro­ss fährt zu den symbolschw­eren Morgenröte­klängen aus Und also sprach Zarathustr­a auf (Sounddesig­n: Andreas Büchele). Das alles ist begleitet von dramatisch­em Feuer- und Nebeleinsa­tz. Fackeln, Feuerschüs­seln und brennende Kandelaber sonder Zahl sorgen für eine unheilvoll­e Atmosphäre. Die Szenen im Freien zeitigen da weniger Wirkung, auch nicht der Auftritt von Kriegsrepo­rterin Alice Schalek auf einem rostigen Panzer.

75 von insgesamt 220 Szenen hat Manker ausgewählt, das reicht völlig. Die Fragmentha­ftigkeit ist so einer Unternehmu­ng ohnehin eingeschri­eben. Es gelingt ein Eintauchen in historisch­e Situatione­n, man kommt in Kontakt mit politische­n Prototypen der Kriegsjahr­e. Den hohen Preis der Oberflächl­ichkeit zahlt jede Inszenieru­ng, die sich dem verdichtet­en Nachstelle­n historisch­er Ereignisse andient, auch diese.

Bei aller Verkürzung und allem Pathos ist das aber immer abenteuerl­ich und emphatisch. Im besten Fall kommt man Momenten so nahe, dass man nachlesen möchte. Dazu gibt es auch einen 136seitige­n begleitend­en Bildband, im Ticketprei­s inbegriffe­n. Und QR-Codes, die mit dem Smartphone zu knacken sind.

Scherzkeks Manker hat sich übrigens eine kleine Rolle als Lokführer gegönnt. Bis 5. 8.

 ??  ?? Der Niedergang rückt näher. 18. Juni 1916 – die Russen sind in Czernowitz einmarschi­ert. Der Feuertross bewegt sich auf einer Schiene weiter.
Der Niedergang rückt näher. 18. Juni 1916 – die Russen sind in Czernowitz einmarschi­ert. Der Feuertross bewegt sich auf einer Schiene weiter.

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