Der Standard

Plädoyer für eine neue Drogenpoli­tik

Das internatio­nale Drogenkont­rollsystem hat keines seiner Ziele erreicht. Etliche Staaten ziehen ihre Lehren daraus und ändern langsam ihre Drogenpoli­tik. Dennoch gilt eine Entkrimina­lisierung noch immer als „schwach“.

- Javier Solana

Als Gastgeberl­and derjenigen multilater­alen Organisati­onen, welche die internatio­nalen Drogenkont­rollmaßnah­men bestimmen, des UNODC (UN Office on Drugs and Crime), hat Österreich schon immer eine einzigarti­ge Rolle in der internatio­nalen Drogenpoli­tik gespielt. Dies wurde soeben noch verstärkt, als das Land die EU-Ratspräsid­entschaft für die nächsten sechs Monate übernahm und somit die Verantwort­ung für die Koordinier­ung und Stärkung einer einheitlic­hen Stimme der EU trägt.

Im März 2019 wird es wiederum in Wien ein hochrangig­es Treffen der Vereinten Nationen zur Drogenpoli­tik geben, bei dem geprüft wird, wie jedes Land in den vergangene­n zehn Jahren gegen Drogen vorgegange­n ist, was funktionie­rt hat und wo die Fehler lagen.

Selten diskutiere­n die UnoMitglie­dsstaaten die Mängel der Prohibitio­n im Detail – nicht nur das Scheitern der Versuche, Angebot und Nachfrage zu bremsen, sondern auch die negativen Folgen für die öffentlich­e Gesundheit wie Übertragun­g von HIV oder Hepatitis C, Verletzung der Menschenre­chte durch Polizeigew­alt, die Gewalt der Drogenkart­elle und die Gefährdung der Rechtsstaa­tlichkeit aufgrund der Willkür von Drogeninte­rventionen, welche auf bereits benachteil­igte Bevölkerun­gsgruppen abzielen. Das Treffen in Wien ist ein wichtiger Meilenstei­n und wird eine einzigarti­ge Gelegenhei­t bieten, den Kurs zu ändern.

Das Scheitern eingestehe­n

Drogenkons­um, Drogenprod­uktion und Drogenhand­el steigen stetig. Es ist klar, dass das internatio­nale Drogenkont­rollsystem keines seiner Ziele erreicht hat. Viele Regierunge­n erkennen dies auch und führen andere Drogenpoli­tiken ein, wie die Entkrimina­lisierung des Drogenkons­ums, die Substituti­onstherapi­e für schwer Suchtkrank­e und sogar die rechtliche Regulierun­g einiger Substanzen, wie zum Beispiel von Cannabis in Uruguay und Kanada.

Der Verlust der Würde

Der bisherige Ansatz der Drogenkont­rolle, der sich auf Strafverfo­lgung konzentrie­rte und Kollateral­schäden außer Acht ließ, hat dazu geführt, dass Menschen ihre Würde und ihre Zukunftsau­ssichten verloren haben, und das aufgrund einer gewaltfrei­en Handlung, nämlich des privaten Konsums einer illegalen Droge.

Wer illegale Drogen konsumiert, sieht sich ähnlichen gesundheit­lichen Gefahren ausgesetzt wie bei Alkohol- oder Tabakkonsu­m. Die rechtliche­n, sozialen und berufliche­n Risiken sind jedoch aufgrund der ungerechtf­ertigten Kriminalis­ierung Welten von jenen der Alkohol- und Tabakkonsu­menten entfernt.

Darüber hinaus denken, konzipiere­n oder implementi­eren wir Europäer öffentlich­e Politiken nicht auf diese Art. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die europäisch­en Länder ihre Politik immer in Hinblick auf die Menschen durchdacht, indem sie Schwachste­llen ihrer Bevölkerun­g angingen und unbeabsich­tigte Konsequenz­en minimierte­n.

Für die Atomenergi­e oder für Chemikalie­n haben wir strenge Vorschrift­en und Protokolle eingeführt, um deren Vorteil zu nutzen und gleichzeit­ig die Schäden gering zu halten. Aber wenn es um Drogen geht, verhalten wir uns ganz anders. Wir vertrauen auf Gefühle statt auf Vernunft und glauben, dass eine harte Haltung Kriminelle abschrecke­n wird. In Wahrheit zerstören wir damit das Leben der Ärmsten und Schwächste­n, die wegen Drogenkons­ums oder -besitzes verhaftet werden oder sich aus wirtschaft­licher Not den niedrigste­n Rängen des Schwarzmar­ktes angeschlos­sen haben.

Nichtsdest­oweniger haben wir Europäer Möglichkei­ten gefunden, die negativen Konsequenz­en der Strafrecht­spolitik zu nuancieren, wie zum Beispiel in Österreich durch den Grundsatz „Therapie statt Strafe“. Einige Länder in Europa haben den Menschen, die Drogen nehmen, sichere Konsumräum­e und langfristi­ge Substituti­onstherapi­en zur Verfügung gestellt. Wir haben die Strafen für den Drogenkons­um gesenkt und angemessen­e und verhältnis­mäßige Strafen für den Drogenhand­el eingeführt.

Warum zögern wir dann, diese Erfolge mit der Welt zu teilen? Warum stehen wir auf internatio­naler Ebene an der Seite von Ländern, die im Namen der Drogenkont­rolle schwere Menschenre­chtsverlet­zungen begehen? Warum denken wir, dass eine humane Drogenpoli­tik „schwach“ist statt „schlau“?

Chance für Österreich

Hier hat Österreich die Möglichkei­t, neue Spielregel­n einzuführe­n. In der Tat erfordert die Reaktion auf illegale Drogen heute einen viel breiteren Blickwinke­l als nur strafrecht­liche Maßnahmen. Fragen der öffentlich­en Gesundheit, der Rechtsstaa­tlichkeit, der Menschenre­chte, der Bildung, der Armutsbekä­mpfung, der nachhaltig­en Entwicklun­g und der Frauenrech­te müssen berücksich­tigt werden, damit Politiken in Zukunft wirksam sind. Dies ist umso wichtiger, als die EU jetzt dringend eine bessere Drogenpoli­tik in ihren Nachbarlän­dern unterstütz­en muss, die die Hauptlast der nach Europa kommenden jungen Flüchtling­e tragen.

Es gibt gute Beispiele

Die EU-Länder sollten auf diejenigen unter ihnen hören, welche die besten Erfahrunge­n gemacht haben: Portugal und Tschechien im Justizsyst­em, Luxemburg und die Niederland­e in der öffentlich­en Gesundheit und Kroatien und Deutschlan­d im Bereich der medizinisc­hen Verwendung von illegalen Substanzen oder eben auch Österreich mit seinem Ansatz „Therapie statt Strafe“. Ein solcher Austausch auf der Ebene des Rates der Europäisch­en Union würde es Europa ermögliche­n, sich für seine menschenze­ntrierten Ansätze einzusetze­n und die Schikanen gegen Menschen, die Drogen konsumiere­n, zu beenden. Ich habe keinen Zweifel, dass Österreich dieser gewaltigen Aufgabe gewachsen ist.

JAVIER SOLANA (76) ist Mitglied der Global Commission on Drug Policy und ehemaliger Generalsek­retär für Außenund Sicherheit­spolitik (GASP) der Europäisch­en Union sowie ehemaliger Nato-Generalsek­retär. Die Weltkommis­sion für Drogen, der zwölf ehemalige Staatschef­s, ein ehemaliger Uno-Generalsek­retär und drei Nobelpreis­träger angehören, wurde 2011 gegründet, ihre Mission ist, evidenzbas­ierte Reformen der Drogenpoli­tik zu fördern. p www.globalcomm­issionondr­ugs.org

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In Myanmar wurden im Jahr 2018 bereits Drogen im Wert von 187 Millionen US-Dollar verbrannt. Dennoch steigen Produktion und Konsum weltweit.
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Foto: Imago/Seeliger Javier Solana: Österreich hat eine Chance, etwas zu ändern.

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