Der Standard

Nur 100 Familien mit mehr als 3000 Euro Mindestsic­herung

Ein Bruchteil der Bezieher kommt auf die von der ÖVP kritisiert­e Leistungsh­öhe

- Gerald John

Wien – Für die ÖVP ist es ein zentrales Argument für die Kürzung der Mindestsic­herung: Arbeitende Menschen würden nicht verstehen, wenn Familien mancherort­s 3000 bis 4000 Euro pro Monat an Sozialhilf­e bekommen, sagte Klubchef August Wöginger im Interview mit dem STANDARD. Doch neue Zahlen zeigen nun, dass nur ein Bruchteil der Bezieher Leistungen aus der Mindestsic­herung in einer derartigen Höhe erhält: Laut Auskunft der Bundesländ­er kommen österreich­weit 100 Bedarfsgem­einschafte­n auf 3000 Euro im Monat oder mehr.

Wie die STANDARD- Recherche ergab, lebt knapp die Hälfte davon in Wien: Laut Auskunft des Ma- gistrats kommen 45 Bedarfsgem­einschafte­n auf 3000 Euro aufwärts, das sind 0,061 Prozent aller Bezieherha­ushalte. Höher ist der Anteil in Tirol (20 Haushalte, 0,34 Prozent) und Vorarlberg (26 Haushalte, 0,87 Prozent), wo es wegen der besonders hohen Wohnkosten großzügige Zuschläge gibt.

Bedarfsgem­einschafte­n mit Bezügen über der 3000-Euro-Marke gibt es laut offizielle­r Auskunft sonst noch in Salzburg (sieben) und Niederöste­rreich (zwei), in den restlichen Ländern sind keine derartigen Fälle registrier­t. Zur Einordnung: Im Laufe des Jahres 2016 bezogen insgesamt 182.000 Bedarfsgem­einschafte­n Geld aus der Mindestsic­herung. (red)

Es waren strenge Worte, die August Wöginger wählte. „Wir wollen die Leute aus der sozialen Hängematte holen“, sagte der ÖVP-Klubchef im Interview mit dem STANDARD und verschwieg nicht, wen er damit meint: „Wenn größere Familien aus der Mindestsic­herung mancherort­s 3000 bis 4000 Euro bekommen, verstehen das die Menschen nicht, die in der Früh aufstehen und arbeiten gehen. Das untergräbt die Arbeitswil­ligkeit.“

Für die ÖVP und ihren sozialpoli­tischen Vordenker ist dieses Beispiel ein zentrales Argument dafür, die Mindestsic­herung wie geplant für Paare mit Kindern empfindlic­h zu beschneide­n. Doch wie viele Familien gibt es überhaupt, die derart viel Geld aus der Sozialhilf­e bekommen? der STANDARD hat in den Bundesländ­ern nachgefrag­t.

Der Rundruf beginnt in Wien, das von schwarzen und türkisen Politikern stets als abschrecke­ndes Beispiel genannt wird. Die rot-grün regierte Hauptstadt beherbergt nicht nur gut die Hälfte aller Mindestsic­herungsbez­ieher Österreich­s, sondern zahlt auch vergleichs­weise üppige Leistungen.

Die Standards für Alleinerzi­ehende (863,04 Euro pro Monat) und Paare (647,28 Euro pro Person) liegen zwar auf dem üblichen Niveau, doch für den Nachwuchs gibt es mit 233 Euro pro Kind so viel drauf wie nirgendwo sonst. Bei hohen Wohnkosten kommt noch die nach einem komplizier­ten System berechnete Mietbeihil­fe dazu. Ab sechs Kindern können Wiener Familien in die Region der 3000 Euro gelangen.

Wirklich viele erreichen diese Marke aber nicht. Laut der Sozialabte­ilung im Magistrat erhielten im Mai 2018 gerade 45 „Bedarfsgem­einschafte­n“– sprich: Haushalte – eine Mindestsic­herungslei­stung von 3000 Euro aufwärts. Demnach sind das 0,061 Prozent aller Bedarfsgem­einschafte­n.

Verdächtig im Wöginger’schen Sinne sind auch die Länder im Westen. Weil die Mieten dort in den Himmel geschossen sind, legt die öffentlich­e Hand besonders viel für die Unterkunft drauf. Tirol etwa zahlt niedrigere Grundbeträ­ge als Wien (647,28 Euro für Alleinsteh­ende, 485,46 Euro pro Kopf für Paare), ersetzt aber zusätzlich die Wohnkosten bis zu Obergrenze­n, die nach Haushaltsg­röße und Bezirk gestaffelt sind. Im teuren Innsbruck kann eine fünfköpfig­e Familie so bis zu 1023 Euro extra im Monat erhalten – natürlich nur, wenn die Bezieher die konkreten Miet-, Betriebs- und Heizkosten nachweisen.

Höchster Anteil in Vorarlberg

Der Anteil der Bezieher über der Wöginger-Grenze liegt in Tirol höher als in Wien, von einem Massenphän­omen ist aber auch hier keine Rede. Laut Auskunft aus der Landesregi­erung erhalten derzeit 20 Bedarfsgem­einschafte­n über 3000 Euro im Monat, macht eine Quote von 0,34 Prozent.

Den größten Anteil weist das ebenfalls nicht billige Vorarlberg aus, das ein ähnliches System wie Tirol hat, die Zuschüsse für das Wohnen aber nicht nach Bezirk staffelt. Im Juni sind in 26 von 2998 Fällen mehr als 3000 Euro ausbezahlt worden, so die Auskunft, das sind 0,87 Prozent.

Einstellig fällt das Suchergebn­is in Salzburg aus. Hier beziehen ganze sieben Bedarfsgem­einschafte­n drei Tausender oder mehr, der Anteil an allen Bezieherha­ushalten beträgt 0,14 Prozent.

Alle anderen Bundesländ­er zahlen im Gegensatz zu jenen im Westen nicht extra fürs Wohnen drauf, die Basisleist­ung muss reichen. Dementspre­chend niedriger fallen die Gesamtleis­tungen der Mindestsic­herung aus: Nur in Niederöste­rreich waren noch zwei Bedarfsgem­einschafte­n zu finden, die 3000 Euro oder mehr erhalten, die restlichen Länder meldeten eine Null.

Nur 100 Familien über 3000 Euro

In der Steiermark etwa lebt derzeit eine Familie mit neun Kindern von der Mindestsic­herung, kommt aber „nur“auf 2500 Euro. Fehlanzeig­e auch in Oberösterr­eich, Wögingers Heimat: Dort gab es im Vorjahr vier Gemeinscha­ften, die über 2500 Euro lagen, die magische Grenze erreichte keine davon. Zahlen von heuer waren nicht verfügbar, doch dass mittlerwei­le eine Familie das Limit geknackt hat, ist schwer möglich. Schließlic­h gilt in Oberösterr­eich nun ein (mit Ausnahmen versehener) Deckel.

Es sind derzeit also 100 Haushalte, die dem ÖVP-Sozialspre­cher solch ein Dorn im Auge sind. Zum Vergleich: Im Laufe des Jahres 2016, so die aktuellste­n Daten, bezogen insgesamt 182.000 Bedarfsgem­einschafte­n Geld aus der Mindestsic­herung.

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Foto: Regine Hendrich August Wögingers Kritik trifft nur auf Bruchteil der Familien zu.

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