Der Standard

Im Sog des Mülls

Müll wird quer durch Europa und die Welt gefahren, geschifft und geflogen. Wer profitiert davon, und wer trägt am Ende die Verantwort­ung?

- Jakob Pallinger

Es ist ein trostloser Anblick: Auf der braunen, trockenen Erde liegen Reifen, stehen eingedellt­e und zerkratzte Autos aller Marken: Audi, VW, Peugeot und viele andere. Sie alle haben ihre Glanzzeite­n bereits hinter sich, haben zwanzig Jahre oder mehr auf der Blechhaube. Für Österreich­s Straßen sind sie nicht mehr zu gebrauchen, für andere Teile der Welt jedoch noch durchwegs einsatzfäh­ig: wenn nicht als ganze Autos, so zumindest in ihren Einzelteil­en. Deswegen schrauben einige Männer auf dem Platz in Hagenbrunn im Norden Wiens an den Wägen herum, versuchen zu richten, was zu richten ist, und verkaufen die Autos und Autoteile nach Osteuropa oder Afrika.

Die dubiosen Werkstätte­n und Autohändle­r sind den Gemeinden an den Rändern Wiens seit Jahren ein Dorn im Auge. Die Polizei versucht die Händler in Schach zu halten und den Export einzudämme­n. Denn das Geschäft ist illegal, weil die behandelte­n Autos meist „Altfahrzeu­ge“sind und deshalb nicht ins Ausland verkauft werden dürften.

Und doch sind die Werkstätte­n ein Inbegriff für etwas Weitreiche­nderes: die internatio­nalen Wege und Geschäftsf­elder des Mülls. Sowohl legal als auch illegal, Abfall wird heute in großen Mengen über die Grenzen transporti­ert; er ist Problemsto­ff, Handelsgut und lukratives Geschäftsm­odell zugleich.

Österreich ist Teil dieses globalen MüllNetzwe­rks. 2016 wurden in Österreich laut Bundesmini­sterium für Nachhaltig­keit und Tourismus rund 60 Millionen Tonnen Abfall produziert, von denen rund 934.900 Tonnen exportiert und mit 806.200 Tonnen fast ebenso viel Müll importiert wurde. Zielländer für den Export sind meist die Nachbarlän­der: 44 Prozent des exportiert­en Mülls gelangt nach Deutschlan­d, 19 Prozent in die Slowakei, 14 Prozent nach Tschechien. Importiert wird Müll ebenfalls vor allem aus Deutschlan­d mit rund 39 Prozent, gefolgt von Italien mit 28 Prozent und Slowenien mit rund 19 Prozent.

Beispiel Italien: Bis Ende 2017 exportiert­e das Land ein Jahr lang seinen Hausmüll in die Müllverbre­nnungsanla­ge Dürnrohr in Niederöste­rreich. Insgesamt 70.000 Tonnen kamen dort mit dem Zug aus Rom an. Das löste auch innenpolit­ischen Zank aus: „Österreich darf nicht die Müllkippe Italiens werden“, wetterten etwa die Grünen. Was schnell übersehen wird: Österreich leistete seinem Nachbarn nicht einfach einen netten Gefallen, sondern profitiert­e selbst von dem Deal: Der römische Entsorgung­sbetrieb zahlte mehr als 130 Euro pro Tonne Müll an Dürnrohr. Und mit dem dort aus der Verbrennun­g des Abfalls erzeugten Strom werden 170.000 Haushalte in der Region versorgt.

Fest steht: Müll ist kein starrer Markt, sondern richtet sich nach Angebot und Nachfrage. So gelangt etwa in Europa viel Abfall von Großbritan­nien in die Niederland­e und nach Deutschlan­d, weil das Land selbst nicht genügend Verbrennun­gskapazitä­ten aufweist. Das wiederum führt zu Engpässen bei deutschen Anlagen, weshalb mehr Müll von Deutschlan­d nach Österreich oder in osteuropäi­sche Länder transporti­ert werden muss. Wenn keine geeignete Entsorgung­smöglichke­it im eigenen Land besteht oder die Entsorgung in einem anderen Land besser erledigt werden kann, ist der Export gerechtfer­tigt und sinnvoll, so die Theorie.

Die Wege des Plastiks

Der Markt geht weit über Europa hinaus. Kaum ein anderer Stoff ist so rasant gewachsen wie Kunststoff: In Europa fallen jedes Jahr rund 26 Millionen Tonnen Kunststoff­abfälle allein in Haushalten an, ein beträchtli­cher Teil davon gelangt ins außereurop­äische Ausland. Hauptimpor­teur war bisher China: Mehr als sieben Millionen Tonnen des weltweit transporti­erten Plastikmül­ls landete 2016 in dem Land, wie es in einer Studie von US-Forschern im Fachjourna­l heißt. Weil der Plastikmül­l nach Regierungs­angaben zu Umweltprob­lemen führt und China selbst Science Advances immer mehr Plastikmül­l im eigenen Land produziert­e, verhängte das Land Anfang des Jahres einen Importstop­p.

Länder, die bisher schon Schwierigk­eiten hatten, mit ihrem Plastikmül­l umzugehen, müssen sich seither nach neuen Absatz- und Entsorgung­smöglichke­iten umsehen. Das könnte vor allem in Entwicklun­gsländern verstärkt zu Umweltprob­lemen führen, heißt es von den Forschern. Aber auch aus Deutschlan­d gelangten jedes Jahr mehr als 750.000 Tonnen Plastikabf­all nach China. Zwar will die EU schrittwei­se die Recycling-Quoten erhöhen, der meiste Plastikmül­l in der EU wird aber weiterhin „thermisch verwertet“– das heißt, verbrannt – oder gelangt auf Deponien. Weltweit wurden bisher nur rund neun Prozent des jemals entstanden­en Plastikmül­ls recycelt, das meiste befinde sich als Müll in der Natur, bestenfall­s noch auf Deponien, schreiben US-Forscher in einer Studie aus dem Jahr 2017 in Science Advances.

Vom Müll der anderen profitiere­n

Aus den Augen, aus dem Sinn – so könnte die Devise lauten. Müll bahnt sich eben seinen Weg: Anstatt China könnten Kunststoff­e aus Deutschlan­d und anderen Ländern Europas nun vermehrt nach Indonesien, Vietnam oder Malaysia gelangen, heißt es vom deutschen Bundesverb­and Sekundärro­hstoffe und Entsorgung.

Für die importiere­nden Länder hat das einige Vorteile: Denn sie profitiere­n vom Müll der anderen, indem sie Granulate herstellen, die weiterverk­auft werden oder als neue Baustoffe für die Industrie dienen können. Allerdings können sich auch gravierend­e gesundheit­liche und ökologisch­e Probleme ergeben, warnen Forscher – vor allem dann, wenn die Löhne und Umweltaufl­agen gering sind, Geräte händisch zerlegt und gefährlich­e Substanzen in den Boden geleitet werden.

Rechtliche Grundlage für die Kontrolle über den Transport gefährlich­er Abfälle bildet das Basler Übereinkom­men aus dem Jahr 1989, dem mittlerwei­le 186 Staaten beigetrete­n sind. Eine zentrale Frage darin: Ab wann ist Müll eigentlich Müll? Die Frage klingt banal, an ihr spießt sich aber so einiges. So können Elektronik­geräte als Abfall gelten, wenn Teile fehlen oder physische Schäden bestehen, die mit einem Reparatura­ufwand nicht zu rechtferti­gen sind, heißt es in dem Abkommen. Ein Handy gilt als Abfall, wenn es sich nicht mehr einschalte­n oder laden lässt oder Lautsprech­er und Mikrofon defekt sind.

Abfall statt Gebrauchtg­egenstand

Häufig werden Elektroger­äte allerdings nicht als Abfall, sondern als Gebrauchtg­egenstände deklariert und nach Afrika verkauft, wo sie nach kurzer Lebensspan­ne im wahrsten Sinne des Wortes am Straßenran­d landen, wie es in einem Bericht des Fachmagazi­ns Nature aus dem Jahr 2016 heißt. Für eine Studie der NGO Basel Action Networks wurden mehr als 205 Elektroalt­geräte in den USA mit GPS-Signalen ausgestatt­et, von denen mehr als ein Drittel ins Ausland und dort fast ausschließ­lich in Entwicklun­gsländer wanderte.

Auch im Fall der dubiosen Autohändle­r Wiens ist die Praxis eine andere: Von 250.000 Fahrzeugen, die 2015 in Österreich abgemeldet wurden, landete nur ein Fünftel bei ordnungsge­mäßen Recyclern, heißt es vom österreich­ischen Fahrzeugha­ndel. Der Rest dürfte „den Weg ins Ausland gefunden haben“.

Was den legalen Müllhandel betrifft, könnten sich Betriebe in Zeiten des steigenden Protektion­ismus in den USA und China ohnehin schon bald umstellen, heißt es von Verwertung­sunternehm­en. Wird weniger Müll exportiert, könnten davon die heimischen Verwerter profitiere­n, weil sie sozusagen aus mehr Müll aussuchen können, während die Sammelunte­rnehmen mehr für die Entsorgung ausgeben müssen.

Vieles spricht dafür, dass die Recycler in Zukunft eher mehr als weniger zu tun haben: In Österreich sind die Abfälle aus Privathaus­halten in den vergangene­n sieben Jahren um weitere zehn Prozent gestiegen.

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