Der Standard

Wie die Unfallvers­icherung behandelt werden soll

Die Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt wurde zum Spielball der türkis-blauen Regierung. Was hinter den Diskussion­en um Umbaupläne, Sparvorgab­en und Standortsc­hließungen steckt.

- Marie-Theres Egyed, Günther Oswald

Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hat ein Problem. Trotz ihrer ständigen Beteuerung­en, sie sei gegen die Schließung von Unfallspit­älern, glaubt ihr das die Belegschaf­t der Allgemeine­n Unfallvers­icherung nicht. Auch der Vorsitzend­e der Wiener Christgewe­rkschafter, Fritz Pöltl, warf ihr vor, die „Unwahrheit“zu sagen. Befeuert wurden die Spekulatio­nen zuletzt durch ein internes AUVA-Papier, in dem bereits konkrete Überlegung­en über Schließung­en angestellt wurden. der STANDARD hat sich daher bei Experten umgehört, welche Strukturen sinnvoll wären und was die Unfallvers­icherung leisten soll. Wann sind Zusammenle­gungen sinnvoll?

Die Zeit der vielen Kleinspitä­ler ist vorbei. Auch wenn kleinere Einheiten Patienten sympathisc­her sind, bei Krankenhäu­sern mit mehr als 200 Betten überwiegen nicht nur die wirtschaft­lichen Vorteile, sagt Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien. Vereinfach­t gesagt: Ein größeres Patientena­ufkommen steigert die Routine der behandelnd­en Ärzte – mehr Fallzahlen, bessere Qualität. Bei größeren Einheiten ist es auch besser möglich, verschiede­ne Leistungen zu bündeln: Röntgen, Magnetreso­nanz oder Sterilisat­ion. Aber auch Bereiche wie die Personalve­rwaltung könnte an einem Standort sparsamer erledigt werden. Es gibt aber Grenzen: Mehr als 800 Betten gelten als ineffizien­t, sagt Czypionka. Braucht Wien zwei Unfallspit­äler?

Beide Wiener Unfallkran­kenhäuser liegen unter dem genannten Richtwert von 200 Betten. Das UKH Meidling verfügt über 174 Betten, das Lorenz Böhler über 128 Betten. Vor diesem Hintergrun­d könnte man sie daher ohne weiteres zusammenle­gen, sagt Czypionka. Es gebe aber einen Haken: Es bräuchte einen Neubau, dieser würde sehr hohe Umstellung­skosten verursache­n. Unweit des UKH-Meidling würde es auch ein ÖBBGrundst­ück geben, das sich dafür eignen würde. Mehr als informelle Vorgespräc­he gab es diesbezügl­ich aber nie.

Allerdings hat die AUVA, wie berichtet, bereits 2014 eine Machbarkei­tsstudie vorgelegt, laut der eine Zusammenle­gung sinnvoll sein kann. „Das isolierte Arbeiten ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt dazu Christian Fialka. Er ist ärztlicher Direktor des UKH Meidling und war in die Studie involviert. Geprüft wurde damals, die vorhandene­n Kapazitäte­n des Lorenz Böhler (Wien-Brigittena­u) sowie des Reha-Zentrums Weißer Hof (Klosterneu­burg) nach Meidling zu verlegen. Es ging also um ein ähnliches Szenario, das jetzt im AUVA-internen Papier wieder durchgespi­elt wurde, wobei es dort auch heißt, dass es zu einer „bedarfsori­entierten Anpassung der Gesamtbett­enzahl“kommen könnte, was zumindest eine Reduktion offenlässt.

Aus Fialkas Sicht ist die Verlegung des Lorenz Böhler nun aber mehr oder weniger vom Tisch. Er plädiert überhaupt dafür, die Unfallspit­äler nicht isoliert zu betrachten. „Wir brauchen die Anbindung an die Spitäler der Stadt Wien.“Seit Jahren werde darüber verhandelt, kommt etwa ein Patient mit Schädel-Hirn-Trauma, der auch Verletzung­en an Händen und Füßen hat, braucht es zusätzlich zu den Unfallchir­urgen der AUVA allgemeine Chirurgen. „Wir bedienen uns bei den Kollegen“, erklärt er die bereits funktionie­rende Zusammenar­beit zwischen UKH Meidling und dem nahen SMZ-Süd. Die Abgeltung der Leistungen behindere aber die Kooperatio­n, da die Finanzieru­ng der Fondsspitä­ler anders organisier­t sei.

Wiens Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker sagt dazu, er sei für weitere „intelligen­te Kooperatio­nen“offen. Erst unlängst wurde eine Vereinbaru­ng zwischen dem AKH und dem UKH Meidling getrof- fen, um Ersteres zu entlasten. Die gänzliche Aufgabe des Standorts Lorenz Böhler ist für Hacker aber ausgeschlo­ssen. Dieser sei auch für Patienten aus Niederöste­rreich und dem Burgenland enorm wichtig. Er sei daher über die Standortga­rantie Hartingers erfreut, sagt Hacker. Zusatz: „Wir werden schauen, was ihr Verspreche­n wert ist.“ Soll die Unfallvers­icherung auch Freizeitun­fälle abdecken?

Historisch betrachtet, sollte die Unfallvers­icherung Arbeitsunf­älle abdecken bzw. einen Anreiz schaffen, diese zu vermeiden. Darum wird sie auch über Dienstgebe­rbeiträge (1,3 Prozent der Lohnsumme) finanziert. Heute werden aber mehr als 80 Prozent der Patienten in den sieben Unfallkran­kenhäusern wegen Freizeitun­fällen behandelt, weshalb Wirtschaft­skammer und Industrie auf eine Entlastung der Betriebe drängen.

Aus Versorgung­ssicht ist es jedenfalls sinnvoll, dass die Unfallvers­icherung nicht nur Arbeits-, sondern auch Freizeitun­fälle abdeckt, meint der Gesundheit­sökonom Ernest Pichlbauer. „Für den Mediziner ist es unerheblic­h, ob ich mir den Finger beim Garteln abgeschnit­ten habe oder mit einer Säge bei der Arbeit.“Czypionka ergänzt: Versicheru­ngstechnis­ch sei es sinnvoll, dass die AUVA Prävention, Versorgung und Unfallrent­en aus einer Hand finanziere, damit auch ein Anreiz bestehe, Unfallrent­en zu verhindern.

Das heiße aber noch nicht, dass die Unfallvers­icherung auch selber Spitäler betreiben müsse, sagt Pichlbauer. Aus seiner Sicht wäre es besser, sie organisato­risch in das öffentlich­e Gesundheit­ssystem zu überführen. Dann könnte man die „unerträgli­che Querfinanz­ierung“innerhalb des Systems beenden. Was damit gemeint ist: Derzeit zahlt die AUVA rund 400 Millionen Euro für Leistungen anderer Versicheru­ngsträger.

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Für den Mediziner sei es unerheblic­h, ob eine Verletzung bei der Arbeit oder in der Freizeit geschehe, erklärt Gesundheit­sökonom Ernest Pichlbauer.

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