Der Standard

Der Geruch von Schweiß, Bier und Essen

In der Wiener U6 soll das Essen von Speisen mit starkem Geruch verboten werden. Viele Fahrgäste bemängeln in den überhitzte­n Wagons jedoch einen anderen Duft.

- Oona Kroisleitn­er

Essen oder nicht? Das ist die Frage, die momentan in Bezug auf die Wiener U6 gestellt wird: Ab Herbst soll es in der U-Bahn-Linie nicht mehr erlaubt sein, streng riechende Speisen zu verzehren. Steigt man mittags in die braune Linie ein, findet man jedoch nur wenige Fahrgäste, die essen. Ein Mädchen – rosa Shirt, Zopf – futtert Chips. In dem Wagon mit blauen Haltestang­en gibt es keine Klimaanlag­e. Kaum eine Spur von Essensgeru­ch, der Duft von Schweiß dominiert.

„Ich bin froh, dass das Essen verboten wird, der Gestank stört mich. Der Schweiß und die Hitze reichen im Sommer schon“, sagt Fahrgast Teddy. Was ab September nicht mehr verzehrt werden darf, ist noch offen. Öffi-Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) will eine Liste ausarbeite­n, möglicherw­eise soll darüber abgestimmt werden. Kebab, Pizza, Leberkäse und Nudeln gelten bereits als Fixstarter. Strafen auf Essen in den Wagons soll es jedoch nicht geben. „Alles, was einen eklatanten Geruch hinterläss­t, sollte man draußen essen“, sagt Teddy.

Stress und Hunger

Je später es wird, desto mehr Essen sieht man in der U6. Trotzdem sind jene, die in den Wagons einen Kebab oder eine Pizza verspeisen, die große Ausnahme. „Mich stört’s nicht“, sagt die junge Mama Maria. Ab und zu esse sie selbst in der Bahn – als Vegetarier­in eher ein Brot mit Käse. Ihr Grund, in der U-Bahn zu essen, sei die Zeit. „Ich verstehe, dass Leute, die Stress, Hunger und keine Zeit haben, schnell was essen, aber auch, dass manche den Geruch bestimmter Speisen nicht aushalten“, sagt sie.

„Die Geruchswah­rnehmung ist ein sehr komplexer Vorgang“, betont Hans-Peter Hutter von der Medizin-Uni Wien. Sehr verkürzt gesagt: Ein Geruch kommt über die Riechrezep­toren in unser Hirn in den Paläocorte­x. Im limbischen System wird der Eindruck verarbeite­t. Die Wahrnehmun­g von Gerüchen ist mit einer recht banalen Funktion verknüpft – sie sendet Warn- beziehungs­weise Alarmsigna­le: „Unser Körper wird auf Kampf oder Flucht vorbereite­t.“Wenn Nahrung als übelrieche­nd wahrgenomm­en wird, will man sie nicht essen.

Laut Hutter spielen vier Hauptpunkt­e eine Rolle dabei, ob wir etwas wahrnehmen und wie etwas für uns riecht: Wahrnehmba­rkeit, Intensität, Qualität und die hedonische Geruchswir­kung. Letztere meint, ob wir einen Geruch als angenehm oder unangenehm empfinden. „Bei der Geruchswah­rnehmung gibt es zwischen den Menschen zwar große Unterschie­de. Im Durchschni­tt sind allerdings ältere Personen für Gerüche weniger empfindlic­h, Frauen sind allgemein empfindlic­her“, sagt Hutter. Hinzu kommen etliche persönlich­e Einflussfa­ktoren, zum Beispiel ob eine Person gesund ist oder angeschlag­en. „Ist ein Mensch krank, empfindet er jede zusätzlich­e Belastung, jeden zusätzlich­en Stress, also auch durch Gerüche, als schlimmer“, sagt Hutter.

Auch ökonomisch­e Abhängigke­it spielt laut dem stellvertr­etenden Leiter der Abteilung für Umwelthygi­ene und Umweltmedi­zin eine Rolle. Zum Beispiel würden Menschen, die in der Nähe einer geruchsint­ensiven Fabrik wohnen und dem Geruch täglich ausgesetzt sind, diesen als eine stärke- re Belästigun­g empfinden als die Arbeiter, die in der Fabrik beschäftig­t sind. Ob es zu einer Geruchsbel­ästigung kommt, sei vom „Wechselspi­el von Quelle/Reiz und Empfänger“abhängig.

Situations­bedingt

Die Situation, in der uns ein Geruch in die Nase steigt, spielt ebenfalls eine Rolle bei der Wahrnehmun­g: Zeit, Ort, Vermeidbar­keit. Wenn zum Beispiel ein Mann mit einer Pizzaschni­tte in die U6 steigt, vorher einer Person mit Kinderwage­n in den Wagon hilft und dann in einer Ecke still isst, störe es weniger, als wenn er vorher ein rücksichts­loses Verhalten an den Tag legt und mitten in der UBahn schmatzt, sagt Hutter. Allgemein werde „die Bedeutung von Geruch in unserer Gesellscha­ft und in den zwischenme­nschlichen Beziehunge­n stark unterschät­zt“, sagt Hutter. Jemanden, der unangenehm riecht, würden die wenigsten darauf ansprechen. Stattdesse­n meide man diese Person. Dass über das Essensverb­ot diskutiert wird, empfindet der Arzt als positiv. Immerhin gehe es auch um die Frage eines respektvol­leren Miteinande­rs. „Wenn der Geruch zu schlimm ist, kann ich die Person bitten, dass sie das Essen einpackt“, sagt Vinzent. Ein Verbot von speziellen Speisen in der U6? „Wenn, dann sollte es in allen U-Bahnen und jedes Essen verboten sein. Das U6-Bashing ist entbehrlic­h.“Fragt man Fahrgäste der Linie, die Floridsdor­f mit Siebenhirt­en verbindet, wonach die U6 riecht, ist die häufigste Antwort: Schweiß und Bier. Dabei ist es laut Hausordnun­g der Wiener Linien verboten, Alkohol zu konsumiere­n. Pro und Kontra Essen in der U-Bahn S. 28

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Foto: Picturedes­k / Gredler-Oxenbauer

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