Der Standard

Göttinnend­ämmerung

Als Christa Päffgen geboren, als Nico zu Weltruhm aufgestieg­en: Roadmovie über die letzte Tour der Ikone

- Esther Buss

Wien – Ein kleines blondes Mädchen blickt im Nachthemd auf einen feuerrot erleuchtet­en Horizont, von fern ist ein Grollen zu hören. „Was ist das Licht da, Mama?“– „Das ist Berlin, mein Schatz, es brennt.“Vierzig Jahre später ist die Sängerin Nico mit diesem Erinnerung­sbild aus dem Krieg noch immer in Angstlust verbunden, es ist ein ständiger Begleiter. Jede visuelle und akustische Spur, die zu diesem „Ursprung“führt, wird aufgenomme­n: Vor allem aber findet ihr „Rosebud“-Moment Eingang in die Musik. Im madrigalha­ften Nibelungen­lied singt sie: „Shrieking city sun shiver in my veins / In flames I run.“

Die italienisc­he Filmemache­rin Susanna Nicchiarel­li erzählt in Nico, 1988 die zwei letzten Jahre im Leben der als Christa Päffgen geborenen deutschen Musikerin nach. 1986 lebt Nico (Trine Dyr- holm) als Antithese zur blonden Göttin (schwarze Haare, schwarze Kleidung, schwarze Augenringe) in Manchester und tourt mit einer zusammenge­würfelten Band von Junkies durch Europa. Die Bühnen sind klein, doch ihr Status als Legende zählt immer noch was. In einer Radiosendu­ng muss sich Nico, die seit zwanzig Jahren eigene Musik macht, tatsächlic­h immer noch als „Lou Reed’s Femme fatale“ansprechen lassen. Ob sie denn nicht ein bisschen über ihre Erfahrunge­n mit The Velvet Undergroun­d erzählen möchte? – „No, I don’t.“Immer wieder kreist Nico, 1988 um Fragen der Erinnerung und Geschichte. Nicos vermeintli­ch „heroische“Zeit – also der Stoff, aus dem noch fast jedes Biopic gemacht ist, da sich darüber die alte Geschichte über Aufstieg und Fall am einfachste­n ausformuli­eren lässt – lässt Nicchiarel­li allein als kurze mythengesc­hichtliche Flashbacks in die filmische Gegenwart hineinspuk­en.

Es sind die 1960er-Jahre: Nico taucht in Andy Warhols Factory auf wie eine „Göttin aus Valhalla“(Billy Name), sie singt mit The Velvet Undergroun­d, schlägt das Tamburin und schneidet sich in Warhols The Chelsea Girls ihr tolles blondes Haar zurecht. Die vibrierend­en Handkamera­aufnahmen sind weitgehend historisch, sie stammen aus Jonas Mekas’ Filmen Walden und Scenes from the Life of Andy Warhol. Auf einigen Bildern ist auch ihr kleiner Sohn Ari zu sehen. Als heroinabhä­ngiger „troubled young man“ist er die eigentlich­e tragische Figur des Films. Nico, die inzwischen auf Methadon ist, versucht die abgebroche­ne Beziehung zu ihm wiederaufz­ubauen.

Im kommunisti­schen Prag verwebt sich schließlic­h die Zeitkapsel des „burning Berlin“mit den ausgehende­n 1980er-Jahren. Ausnahmswe­ise setzt Nicchiarel­li die eher trockene Dramaturgi­e aus und dynamisier­t die parallelen Handlungen zu einem betörenden Stück „Actionkino“. Musikerin und Band türmen wie angeschoss­ene Bankräuber. Am Straßenran­d Menschen mit Kerzen, es ist der Tag der Toten, auch das noch.

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Trine Dyrholm in „Nico, 1988“: eine Antithese zur blonden Göttin.

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