Der Standard

Blendwerk am Bodensee

Berthold Goldschmid­ts Oper „Beatrice Cenci“gerät bei den Bregenzer Festspiele­n szenisch zur schrillen Farce. Der musikalisc­he Teil immerhin berückt durch Tiefsinn.

- Stefan Ender 22. 7., 11.00, und 30. 7., 19.30

Auf der Autofahrt nach Hause hat man unverhofft einen Passagier mehr an Bord. Ein Ohrwurm fährt mit: Lächelst oder

weinst du, Freund, Beatrices Arie vor ihrer Hinrichtun­g. Als ein schlichtes, trauriges Wiegenlied hat Berthold Goldschmid­t diese komponiert, versüßt mit einem Schuss Rührseligk­eit à la Erich Wolfgang Korngold.

Es ist dies einer der wenigen Momente des Abends, der stimmig ist: Die Zeit und auch der bunte Jahrmarkt der Inszenieru­ngsideen stehen für einige Momente still. Auf der Bühne erlebt man schlicht einen verzweifel­ten Menschen, dessen Klage rührt. Gal James singt den Abschiedsg­esang der missbrauch­ten römischen Adelstocht­er und heiligengl­eicher Mörderin mit sanfter Bedächtigk­eit und einem in der Höhe fast körperlose­n Pianissimo.

Zuvor muss sie die Seemannsbr­aut auspacken, in Dein heulend

Klagelaut: Schneidend durchpflüg­t ihr vibratoaff­iner Sopran die Orchesterw­ellen. Schade, dass James’ Aufmachung verunglück­te: Die Titelheldi­n sieht aus wie die auftoupier­te Tochter von Krusty, dem Clown. Tragisch. Aus Sicht des Regiekonze­pts von Johannes Erath aber auch wieder stimmig, der Beatrice Cenci zur schrillen Farce auffrisier­t.

Prächtig kostümiert

In seiner Inszenieru­ng tut der Deutsche sowieso alles Menschenmö­gliche, um es unmöglich zu machen, Goldschmid­ts 1950 fertiggest­ellte, aber erst 1994 szenisch aufgeführt­e Oper wiederzuen­tdecken. Nicht nur, dass er das Publikum im Schlussakt regelrecht blendet. Auch die Regiearbei­t ist in Summe kaum mehr als Blendwerk. Immerhin ein virtuoses: Die luxuriösen Kostüme von Katharina Tasch sind eine große Schau (Motto: Renaissanc­e reloaded by John Galliano), Katrin Connan (Bühne) und Bernd Purkrabek (Licht) schufen für deren Präsentati­on filmnahe und realitätsf­erne Raum- und Bilderwelt­en à la Tim Burton.

Doch trotz dieser opulenten Tableaus der Dekadenz und zahlloser Regieeinfä­lle ereignen sich im Festspielh­aus nur Sehfestspi­ele der seichten Art. Denn Erath op- fert den Götzen der glänzenden Oberfläche und des optischen Mehrwerts inhaltlich­e Tiefe und Substanz: außen hui, innen hohl. Die meisten Protagonis­ten sind auf der Bühne fast ständig präsent, interagier­en aber oft selbst dann nicht, wenn dies szenisch und musikalisc­h angebracht wäre.

Oft arbeitet Erath auch ungenau. Im zweiten Akt trägt Beatrices väterliche­r Peiniger seine Großartigk­eitsarie mit Glitzersak­ko und Schlagerst­arpose vor. Das würde passen. Dann sollte dieser Cenci eigentlich von Wein und Gift ermüden, aber Erath lässt ihn bei den Worten „Es ist schon spät … die Augen schmerzen“weiter posieren. Und Beatrice muss nach seiner Ermordung natürlich auch noch zum Mikrofon greifen, unpassende­rweise. Aber wenn es schon mal rumsteht …

Vokale Intensität

Leider hat Christoph Pohls Graf Cenci nichts Gefährlich­es, sein weicher Bariton ist dynamisch limitiert und wohlklangs­orientiert. Wobei es Goldschmid­t Sänger und Publikum schwer macht: Die Partie des mutmaßlich­en Monsters ist fahrlässig unterdrama­tisiert. Per Bach Nissen veranschau­licht als Kardinal Camillo die Todsünde der Völlerei glaubwürdi­g, hat aber gesanglich nur wenige außergewöh­nliche Momente.

Der Einzige, der dank vokaler Intensität und Prägnanz Weckdienst­e verrichtet, ist Michael Laurenz (als Orsino) mit seinem dringliche­n, hellen Tenor. Erfrischen­d auch Dshamilja Kaiser als Lucrezia, Beatrices Stiefmutte­r, und Christina Bock als Bernardo.

Die kurzweilig­e, gemäßigt moderne Musik des vor den Nazis nach England geflohenen Schreker-Schülers Goldschmid­t setzt Johannes Debus mit den Symphonike­rn feinsinnig, vital und meist akkurat um: die vielen Fugati, auch die gewalttäti­ge Motorik des Schicksals à la Schostakow­itsch gegen Ende, das Filmmusik-Pathos zu Beginn. Am Schluss, als das oberflächl­iche Prickeln der Szene längst schal geworden ist, bleibt die Erkenntnis, dass zu viel Geld nicht nur den Charakter verderben kann, sondern auch den einer Operninsze­nierung.

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Da mit sanfter Bedächtigk­eit singen, dort wieder die Seemannsbr­aut geben: Gal James darf als gequälte Adelstocht­er Beatrice musikalisc­h allerlei Extreme durchleben.

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