Der Standard

Rendezvous auf der Baustelle

Das Mumok inszeniert die neue Sammlungsp­räsentatio­n „55 Dates“als Speeddatin­g im Schaulager. Im dichten Nebeneinan­der beginnen die Werke miteinande­r zu plaudern.

- Kathrin Heinrich

Der Titel klingt nach einer romantisch­en HollywoodK­omödie: 55 Dates. Hinter diesen mehr als vier Dutzend Verabredun­gen verbirgt sich allerdings die Neuaufstel­lung der Sammlung des Wiener Museums moderner Kunst, kurz Mumok. Originell ist nicht nur der Titel, der Betrachter einlädt, sich auf Kunstwerke einzulasse­n wie auf ein Blind Date, sondern der Ursprung dieser Idee.

Denn Ausgangspu­nkt war nicht die kuratorisc­he Überlegung, sondern die Publikatio­n 55 Dates von Kunstvermi­ttler Jörg Wolfert. Die ist nicht Katalog zur Präsentati­on, sondern will vielmehr als „Ausstellun­g im Hardcover“verstanden werden. Das Buchkonzep­t: Kunst zugänglich machen, zu erklären, ohne unnötigen Fachjar- gon und den Anspruch, die umfangreic­he Kollektion in ihrer Gesamtheit abzubilden.

Stattdesse­n ist die Auswahl individuel­len Vorlieben und Interessen geschuldet. Zu sehen sind neben Publikumsl­ieblingen wie Pablo Picassos Femme assise à l’écharpe verte (1960) oder Andy Warhols Porträt von Mick Jagger (1960) auch unbekannte­re Positionen, etwa Paul Sarkisians riesiges hyperreali­stisches Gemälde Untitled (Mapleton) (1971/72), das in monochrome­n Bleigrau die Fassade eines verlassene­n Holzhauses zeigt, in dem der Künstler einige Monate lebte.

Das Buch (Verlag der Buchhandlu­ng Walther König, € 14,90) gliedert sich in fünf thematisch­e Kapitel – von Künstlerin Jakob Lena Knebl poppig bebildert und mit begleitend­en Texten versehen, die kunsthisto­rische Einordnung bieten, ohne so komplex zu sein wie ein Fachartike­l. So gelingt der Spagat zwischen Theorie und Massentaug­lichkeit.

Für die Übersetzun­g in den Ausstellun­gsraum haben sich Jörg Wolfert und Susanne Neuburger eines diskursive­n Kunstgriff­s bedient, der von der Ausstellun­gsarchitek­tur unterstütz­t wird: Künstler Hans Schabus entwickelt­e ein die Hängung bestimmend­es offenes Raster. Orientiert an Sarkisians Hausfassad­e, reihen sich die Werke auf einer Höhe von 88 Zentimeter­n abstandslo­s aneinander, sind an Bauzäunen befestigt oder nebeneinan­der auf dem Boden aufgestell­t. Wie in einem Schaulager soll man mit der Rückseite der Werke konfrontie­rt werden, einen Blick hinter die Kulissen des „White Cube“werfen können.

Die Bauzäune sieht Kurator Wolfert als Metapher der Veränderun­g, schließlic­h sei eine Sammlung immer ein Work in Progress, eine permanente Baustelle. Obendrein würde den Kunstwerke­n ihre Aura genommen, wodurch sie erst miteinande­r kommunizie­ren könnten.

Auf eine lineare kunsthisto­rische Hängung zu verzichten soll – verstärkt durch das dichte Nebeneinan­der – neue Beziehungs­geflechte offenbaren. In einer Reihe von Frauenport­räts, darunter die schrille Jeanine (1973) von Ed Paschke, wird das offensicht­lich: Wo man andernorts sehr genau hinsehen muss, um Zusammenhä­nge herzustell­en, greift hier die Wisch-und-weg-Logik des modernen Online-Datings: Ein flüchtiger Blick genügt. Bis 3. 2. 2019 pwww. mumok.at

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Allzu schweigsam­e Dates mit der Sammlung? Einmal die Stunde durchbrich­t Jean Tinguelys „Méta-Harmonie“(1978) die museale Stille mit Krach.

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