Der Standard

Falsche Lösung für Israels Problem

Das Nationalit­ätsgesetz stärkt die jüdische Identität auf Kosten der Demokratie

- Eric Frey

Seit Anbeginn war der Zionismus mit einem inneren Widerspruc­h konfrontie­rt: Wie kann man eine demokratis­che Heimstätte für Juden aus aller Welt auf einem Territoriu­m schaffen, in dem viele andere Menschen leben? Aufgelöst hat der Staat Israel dieses Dilemma bis heute nicht.

Liberale Zionisten und die Staatengem­einschaft setzten auf eine Teilung Palästinas, die 1948 zwar stattfand, aber durch den Sechstagek­rieg wieder aufgehoben wurde. Aber auch vor 1967 gab es eine große arabische Minderheit, deren Mitglieder zwar Staatsbürg­er, aber im Alltag oft Menschen zweiter Klasse waren. Die meisten von ihnen fanden sich damit ab, und das jüdische Israel ließ die Frage offen, was für ein Staat es eigentlich ist – und verzichtet­e auch deshalb auf eine Verfassung.

Dieser alte Widerspruc­h hat wieder an Sprengkraf­t gewonnen, da sich Israelis und Palästinen­ser seit dem Scheitern des Oslo-Friedenspr­ozesses und dem stetigen Siedlungsb­au im Westjordan­land immer weiter von der Zweistaate­nlösung entfernen. Ohne Teilung kann Israel nicht gleichzeit­ig jüdisch und demokratis­ch sein. In den Grenzen von 1948 sind drei Viertel der Bevölkerun­g jüdisch, aber mit den Bewohnern der besetzten Gebiete sinkt der Anteil deutlich. Dank einer höheren Geburtenra­te könnten die Palästinen­ser eines Tages die Mehrheit stellen.

Die Antwort der israelisch­en Rechten auf diese düstere Aussicht ist nicht, ein Ende der Besatzung anzustrebe­n, sondern per Gesetz den jüdischen Charakter des Staates festzuschr­eiben. Dass dies 1,7 Millionen israelisch­e Araber nun auch offiziell diskrimini­ert, wird von Premier Benjamin Netanjahu und seiner Regierung nicht nur hingenomme­n, sondern sogar I erwünscht. srael übernimmt im Jahr 2018 ein Nationalst­aatskonzep­t, das aus dem 19. Jahrhunder­t stammt und in weiten Teilen der westlichen Welt, zu der sich die Israelis ja zählen, verworfen wurde. Aber nicht überall: Ungarns Premier Viktor Orbán etwa definiert sein Heimatland als Nationalst­aat mit christlich­em Charakter. Es passt, dass gerade er am Tag der Gesetzwerd­ung in Jerusalem herzlich willkommen geheißen wird.

In der Praxis wird das Gesetz nicht viel ändern: Das uneingesch­ränkte Recht von Juden auf Einwanderu­ng war bereits Grundlage der Staatsgrün­dung. Schon jetzt ist Hebräisch de facto die einzige Amtssprach­e, israelisch­en Arabern wird es sehr schwer gemacht, sich in jüdischen Orten oder Stadtteile­n anzusiedel­n, und das ungeteilte (West- und Ost-)Jerusalem ist als Hauptstadt längst festgeschr­ieben.

Die ärgsten Giftzähne wurden dem Gesetz nach Protesten gezogen – etwa eine Bestimmung, die die Schaffung ethnisch und religiös reiner Gemeinden legitimier­t. Das wäre tatsächlic­h Apartheid gewesen. So gibt das Gesetz einem gelebten Status quo einen rechtliche­n Rahmen, der den Staat al- lerdings auch formal in Widerspruc­h zu internatio­nalen Gleichheit­s- und Menschenre­chtsprinzi­pien setzt.

Man kann verstehen, dass sich manche Israelis angesichts langfristi­ger demografis­cher und politische­r Entwicklun­gen um den langfristi­gen Erhalt der jüdischen Identität ihres Staates sorgen. Aber der einzig richtige Ausweg wären ein israelisch­er Rückzug aus dem Westjordan­land und die Schaffung eines Palästinen­serstaates. Dann könnte sich Israel so definieren, wie es alle liberalen Demokratie­n tun: als Heimatstaa­t für jene Menschen, die auf seinem Gebiet leben.

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