Der Standard

Toleranz statt Verbote

- Michael Möseneder

Wenn es schon zu biblischen Zeiten moderne Massenverk­ehrsmittel gegeben hätte, wäre Jesus von Nazareth vielleicht ein anderes Zitat im Zusammenha­ng mit Steinewerf­en zugeschrie­ben worden. „Wer von euch ohne Geruch ist“, zum Beispiel. Aber da Jesus keine U6 kannte und in Wien wiederum Ulli Sima von der ehemaligen Arbeiterpa­rtei SPÖ für den öffentlich­en Verkehr zuständig ist, gibt es keine Aufforderu­ng zu selbstkrit­ischer Nachsicht, sondern ein Verbot noch zu bestimmend­er geruchsint­ensiver Speisen.

Wem was stinkt, ist subjektiv. Das moschuslas­tige Eau de Toilette kann einem genauso auf die Nerven gehen wie der Geruch des saftigen Leberkässe­mmerls, das die Büroangest­ellte hinuntersc­hlingt, während sie von einem Termin zum nächsten hetzt. Der schweißtri­efende Bauarbeite­r kann sich über den Bierdunst verbreiten­den Fortgeher im Wagon beschweren und vice versa.

Ja, natürlich, im Idealfall sollte man seiner Umwelt nur frisch geduscht, dezent parfümiert und ohne Döner begegnen. Der Idealfall wird aber von vielen Faktoren verhindert. Ist es den Öffibenutz­ern in Wien mittlerwei­le nicht mehr zumutbar, zehn oder 15 Minuten in einem olfaktoris­ch herausford­ernden, obgleich nicht gesundheit­sgefährden­den Raum zu verbringen? Entspannte Toleranz macht das Leben in einer Millionens­tadt angenehmer als Verbote. Nicht nur in der U-Bahn.

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