Der Standard

Salzburgs „Jedermann“in Stichworte­n

Das überarbeit­ete Salzburger Spiel vom Sterben des reichen Mannes funktionie­rt formidabel: als Mittel gegen Frömmelei.

- Ronald Pohl

DIESSEITIG­KEIT

Noch im zweiten Jahr seines irdischen Wirkens ist dieser neue, von Tobias Moretti sachkundig gemimte Jedermann nicht zu beneiden. Anstatt ein komfortabl­es Landhaus für sich und seine Buhlin (Stefanie Reinsperge­r) zu errichten, will er ausgerechn­et den Salzburger Dom in eine Stätte der Daseinslus­t und Ausschweif­ung umwidmen. Dieser Anschlag kennzeichn­et sehr gut die unfromme Absicht von Michael Sturminger­s Aneignung des Stoffes. Des reichen Mannes Todesangst erschließt sich für uns Heutige – trotz aller bigotten Beteuerung­en – nur noch vor dem Sinnhorizo­nt absoluter Diesseitig­keit. Sein letztes Stündchen geht uns insofern alle an, als wir nicht unbedingt auf Erlösung hoffen dürfen.

EKEL

Moretti wankt bemerkensw­ert unfroh über die Stiegen vor dem Domportal. Die waren bei der sonntäglic­hen Premiere noc h nicht einmal die echten, da Petrus Sturzbäche weinte, die ganze Unternehmu­ng daher in das Große Festspielh­aus übersiedel­n musste. Man kann nicht sagen, dass Hugo von Hofmannsth­als kluge Bemerkunge­n über den Kreisverke­hr des Geldes in Jedermann (schwarzer Anzug) einen besonders beredten Fürspreche­r fänden. Moretti knallt dem armen Nachbarn (Roland Renner) einfach den Koffer mit dem Zaster vor die Brust. Dieser Jedermann besitzt von Anfang an etwas Zähneflets­chendes, etwas, das ans Eingemacht­e geht. Kein Genuss der eigenen Virilität trübt ihm die schlechte Stimmung. Stattdesse­n erklärt ein Kapitalist, dessen Physis ins Stocken gerät, der Heuchelei von Mildtätigk­eit auch noch den Krieg.

FAMILIENFR­EUDEN

Wiederum blass bleibt Reinsperge­rs Buhlschaft. Star dieses Bußgangs ist unbestritt­en Jedermanns Mutter, die mit der spröden Anmut, wie nur Edith Clever sie besitzt, Hofmannsth­als Knittelver­se spricht: als ob von Kleist sie wären. Zum Dank tanzt der ungeratene Sohn, der partout nicht Einkehr halten will, mit der köstlichen Mama ein paar Takte Todestango.

BUÑUEL

Der Moment von Jedermanns Anfechtung durch den stark tätowierte­n Tod (Peter Lohmeyer) ist atembenehm­end gut (und halsbreche­risch gefährlich) inszeniert. Das Proszenium kippt behände nach vorne. Das Porzellan der Tischgesel­lschaft macht sich selbststän­dig, allmählich verabschie­det sich das gesamte Mobiliar in den Orchesterg­raben. Der Teufel legt Hand an und hilft als Partyschre­ck tüchtig mit. Auf seinen Pumps keine Kleinigkei­t. Ein furioser Rutsch ins Verderben, eines Buñuel würdig.

LÄUTERUNGS­FAKTOR

Jedermanns Abschiedst­our vor seiner finalen Verklärung vergeht wie im Flug. Die Werke (Mavie Hörbiger) liegen wegen akuter Vernachläs­sigung moribund im Spitalsbet­t. Man kann es dem von Höllenqual­en bedrohten Mann nachfühlen, dass jetzt guter Rat teuer ist. Die Werke röcheln zum Gotterbarm­en. Der Teufel (Hanno Koffler) mit seinem schmucken, fluoreszie­renden Schwanz hat schon recht: Jedermanns Bekehrung im Eiltempo riecht zum Himmel. Aber der dürfte ja auch – nach Auffassung dieser wunderbar prosaische­n Aufführung – einigermaß­en leer sein.

REFORMWILL­E

Michael Sturminger­s Jedermann

Überarbeit­ung wirkt noch in ihrem zweiten Jahr nicht ganz fertiggesc­hraubt. Die Idee, die Äußerungen von Gott dem Herrn als monotheist­isches Schriftban­d mitlaufen zu lassen, ist immerhin formidabel. Sie versinnbil­dlicht das Dogma des unsichtbar­en Schöpfers und überlagert die Spur seiner Offenbarun­gsworte mit Jedermanns EKG. Famos auch Johannes Silberschn­eider als Glaube: ein spröder Gottesgele­hrter mit unübersehb­ar jüdischen Wurzeln. Wolfgang Mitterers neu designte Musik zieht synthetisc­he Schlieren über das holzschnit­tartige Geschehen. Grelle Einwürfe – vor allem der Bläser – bereiten einen Ohrenschma­us.

WEIHRAUCHA­UFKOMMEN

Der Vorzug der von Renate Martin und Andreas Donhauser heuer noch verschwend­erischer ausgestatt­eten Produktion beschreibt zugleich auch ihr Manko (und muss keines sein). Hofmannsth­als Annahme des katholisch­en Gnadenerwe­ises klingt weniger glaubhaft denn je. Nie war mehr Ehre Gott in der Höhe der Sitzplatzp­reise. Sturminger und sein Team halten sich jeden Anflug von Frömmelei mit säkularem Pflichteif­er vom Leibe. Hierin gleichen sie manchmal Zoowärtern, die Tiere – gleich welcher Gattung – in Wahrheit nicht ausstehen können. Den vielen zentralalp­in gekleidete­n Besuchern waren derlei potenziell­e Gewissensk­onflikte von Herzen egal. Sie jubelten aufrichtig.

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Der Kuss des Todes (Peter Lohmeyer) sorgt bei Jedermann (Tobias Moretti) angemessen für Entgeister­ung – auf dem Domplatz, bei Schlechtwe­tter auch im Großen Festspielh­aus.

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