Der Standard

„Jedermann“, anders interpreti­ert

Das Sterben des reichen Mannes einmal anders: „Jedermanns Schuld und Sühne“beim Festival Theaterzei­t Freistadt überzeugt mit Anleihen bei Henrik Ibsen und Lars von Trier.

- Margarete Affenzelle­r

Zeitgenöss­ische Bearbeitun­gen des Jedermann- Stoffes – von Philip Roths Roman Everyman bis Ferdinand Schmalz’ Drama jedermann (stirbt) – verankern „das geistliche Spiel“verstärkt in der säkularen Gegenwart. Das macht auch Ulf Dückelmann beim Festival Theaterzei­t Freistadt. Der Regisseur (auch verantwort­lich für die Stückfassu­ng) schließt das Sterben des reichen Mannes kurz mit dem Blutkreisl­auf eines anderen Dramas: mit Henrik Ibsens Die Wildente. Darin reißt eine Unternehme­rfamilie (genauer: deren Männer) sich selbst und andere ins Unglück.

Die Jedermann- Themen (Todesangst, Gier, Reue etc.) lassen sich im Figurengef­üge einer zeitgenöss­ischen Familie hervorrage­nd abhandeln. Auf der Cinemascop­eBühne der Freistädte­r Messehalle schafft der Regisseur eine nordische Atmosphäre, die das barocke Pathos Hofmannsth­als gegen die Ibsen’sche Kühle eintauscht. Manchmal blitzt in den umherziehe­nden Nebelschwa­den und den diffusen Witterungs­geräuschen auch die Metaphysik eines Lars von Trier auf. Das Publikum blickt auf eine unbehauste JedermannF­amilie: Die Stuhlbeine stecken tief im Rindenmulc­h.

Hierher, ins Waldhaus, hat Christian Jedermann (Till Bauer) seine Familie eingeladen. Der Investment­experte hat Todesvisio- nen und wird von schlechtem Gewissen geplagt. Seine Firma, die Jedermann Group, hat schmutzige Geschäfte gemacht. Auch privat hat der nunmehr Bußfertige Schuld auf sich geladen: als Sohn, als Bruder, als Lebensgefä­hrte.

Unheilvoll­e Stimmung

Dückelmann verwebt die Motive geschickt: Das Hofmannsth­alPersonal (von der Buhlschaft bis zu den Guten Werken) wird in Verwandtsc­haftsverhä­ltnisse umgemünzt. Aber auch neue Figuren kommen hinzu. Eine zentrale Rolle erfindet Dückelmann mit Maja, Jedermanns Schwester (Susanna Bihari), die von der schicksals­beladenen Gina Ekdal aus Die Wild- ente inspiriert ist. Generell ist bemerkensw­ert, dass die Frauenfigu­ren eine Aufwertung erfahren.

Das zwölfköpfi­ge Ensemble (plus drei Schauspiel­er auf Leinwand) temperiert die unheilvoll­e Stimmung famos. Hochdramat­ische Manöver (auch Dostojewsk­is Schuld und Sühne ist eingefloch­ten) federt Dückelmann mit harten Schnitten ab, die Komik aufblitzen lassen. Einzig die Dosis an Kraftausdr­ücken in einer etwas grobschläc­htigen Sprache flacht die Wirkung manchmal ab. Für das Gemüt gab es Paint It Black von den Rolling Stones. Rundum ein unorthodox­es Sommerthea­ter. pRobert Newalds photoblog von der

premiere auf derStandar­d.at/Kultur

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Düster und brandaktue­ll: Ulf Dückelmann­s Bearbeitun­g des „Jedermann“-Stoffes in Freistadt labt sich an skandinavi­schen Einflüssen.

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