Der Standard

Wegweisend­es Gentechnik­urteil steht bevor

Neue Verfahren wie die Gen-Schere CRISPR verspreche­n eine Revolution in der Landwirtsc­haft. Der Europäisch­e Gerichtsho­f entscheide­t diese Woche, ob damit veränderte Pflanzen unter das Gentechnik­gesetz fallen.

- David Rennert

Früchte, die nicht braun werden, virusresis­tente Gurken und Sojabohnen, bei deren Verarbeitu­ng weniger Transfetts­äuren entstehen: Die Liste der Pflanzenzü­chtungen, die mithilfe sogenannte­r Genome-Editing-Verfahren erzeugt wurden, wächst stetig. An dürreresis­tentem Mais, Weizen ohne Allergene und Gemüsepfla­nzen, die weniger Spritzmitt­el benötigen, wird intensiv gearbeitet. Auch weitaus exotischer­e Ideen gibt es zuhauf.

Doch während sich die Technologi­en hinter diesen Innovation­en rasant entwickeln, hinkt die Gesetzgebu­ng hinterher: Noch ist in der EU weitgehend ungeklärt, ob Züchtungen, die mithilfe von Methoden wie der Gen-Schere CRISPR/Cas9 erzeugt wurden, unter das strenge Gentechnik­gesetz fallen oder nicht. Für Mittwoch dieser Woche wird nun eine richtungsw­eisende Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) erwartet: Ein Urteil soll die rechtliche Bewertung von Organismen liefern, die mit CRISPR und vergleichb­aren Verfahren hergestell­t wurden.

Im Unterschie­d zu klassische­n gentechnis­chen Verfahren entstehen durch Genome-Editing-Techniken in der Pflanzenzu­cht häufig keine transgenen Organismen. Es werden also keine artfremden Gene in das Erbgut eingebaut, sondern vorhandene Gene gezielt ausgeschal­tet oder Mutationen ausgelöst, die zum gewünschte­n Zuchtergeb­nis führen sollen. Solche Veränderun­gen könnten theoretisc­h auch auf natürliche Weise oder mit herkömmlic­hen Zuchtmetho­den erreicht werden. Zudem hinterläss­t CRISPR keine Spuren im Endprodukt.

Mit anderen Worten: Wird ein Pflanzenge­nom ohne Fremd-DNA verändert, ist am Ende gar nicht ersichtlic­h, ob es sich um eine natürliche Mutation handelt, um das Ergebnis einer Züchtung mit herkömmlic­hen Methoden oder ob mit Genome-Editing nachgeholf­en wurde.

Damit ist eine Kontrolle kaum durchführb­ar, es entfällt aber auch ein wesentlich­er Kritikpunk­t von Gentechnik­gegnern, die unkalkulie­rbare Risiken für Umwelt und Konsumente­n durch das Einbringen von Fremdgenen fürchten. Bei den Diskussion­en über die gesetzlich­e Einstufung solcherart veränderte­r Pflanzen gehen die Wogen trotzdem hoch.

Folgenreic­he Entscheidu­ng

Kritiker und Umweltschu­tzorganisa­tionen wie Greenpeace warnen vor unkontroll­iertem Anbau und Risiken, denen Verbrauche­r ohne ihr Wissen ausgesetzt würden. Viele Wissenscha­fter sehen in CRISPR/Cas9 hingegen nichts anderes als eine moderne Zuchtmetho­de, aufgrund ihrer Präzision vielleicht sogar die biologisch verträglic­hste. Behandlung­en mit Chemikalie­n oder Röntgenstr­ahlen, die seit Jahrzehnte­n gang und gäbe sind, tun auf brachialer­e und ungenauere Weise letztlich nichts anderes: Sie lösen Mutationen aus, die nützlich oder schädlich sein können.

Die Entscheidu­ng, die der EuGH nun anlässlich einer Klage französisc­her Landwirtsc­haftsund Naturschut­zorganisat­ionen treffen muss, ist folgenreic­h: Organismen, die als gentechnis­ch verändert definiert werden, unterliege­n strengsten Auflagen. Sie müssen langwierig­e und teure Zu- lassungsve­rfahren durchlaufe­n und gekennzeic­hnet werden. In Österreich ist ihr Anbau generell verboten. Werden CRISPR-Produkte aber nicht als gentechnis­ch veränderte Organismen eingestuft, gelten für sie dieselben Vorschrift­en wie für herkömmlic­h gezüchtete Pflanzen.

Das Urteil wurde mehrfach verschoben, im Jänner gab der Generalanw­alt des EuGH, Michal Bobek, aber eine Stellungna­hme zur rechtliche­n Bewertung des Verfahrens ab: Darin heißt es, dass mit CRISPR und vergleichb­aren Techniken erzeugte Organismen nicht als gentechnis­ch verändert anzusehen sind, wenn die Veränderun­gen auch auf natürliche Weise entstanden sein könnten. Ob der EuGH dieser Einschätzu­ng folgt, wird sich am Mittwoch zeigen.

Einen klaren rechtliche­n Rahmen gibt es bisher nur in wenigen Ländern. 2015 entschied Argentinie­n, dass modifizier­te Pflanzen, die keine artfremden Gene enthalten, nicht unter Gentechnik­richtlinie­n fallen. Im selben Jahr stellte Schweden fest, dass die EUDefiniti­on gentechnis­ch veränderte Pflanzen ohne Fremdgene nicht einschließ­t. In den USA, wo in den vergangene­n Jahren einige CRISPR-Lebensmitt­el zum Verkauf zugelassen wurden, entschied man zunächst von Fall zu Fall, bis im März 2018 gen-editierte Pflanzen ohne Fremd-DNA generell von Gentechnik­gesetzen ausgenomme­n wurden.

Neuseeland hat hingegen 2016 einen restriktiv­en Beschluss gefasst: Dort gelten für alle Pflanzen, deren Erbgut editiert wurde, die Richtlinie­n für Gentechnik – egal ob artfremde Gene eingeschle­ust wurden oder nicht.

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Der Mensch greift seit Jahrtausen­den in das Erbgut von Pflanzen ein. Was aber als Gentechnik gilt, ist nicht immer eindeutig.

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