Der Standard

Schatten über Kroatien

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Fußballwel­tmeistersc­haften bieten bekanntlic­h für die Sieger die Möglichkei­t, nicht nur die zugereiste­n Fans, sondern die ganze Nation mit Stolz zu erfüllen. Dass Fußballtur­niere auch als Funken am Pulverfass nationaler Leidenscha­ften wirken können, hat man unter anderem in der turbulente­n Geschichte des jugoslawis­chen Vielvölker­staates mehr als einmal erlebt. Die nationalis­tische Geste der aus dem Kosovo stammenden Spieler der schweizeri­schen Nationalma­nnschaft wurden, nicht nur in der Schweiz, mit Befremden missbillig­t.

Es war verständli­ch, ja sogar selbstvers­tändlich, dass die unerwartet­e erste Finalteiln­ahme einer kroatische­n Nationalma­nnschaft bei einer Fußballwel­tmeistersc­haft nicht nur in der Heimat, sondern auch bei der weltweit vertretene­n kroatische­n Diaspora beispiello­se Euphorie ausgelöst hat. Sogar österreich­ische Boulevardb­lätter feierten die kroatische Präsidenti­n Kolinda GrabarKita­rović (50), die bei der Schlussfei­er Spieler, Trainer und Begleiter umarmte und küsste, als „den heimlichen Star“und „die schönste EntdeW ckung der WM“. eniger Beachtung fanden indessen manche besorgnise­rregende Begleiters­cheinungen bei den Feiern. So fuhr der übel beleumdete rechtsradi­kale, ultranatio­nalistisch­e Musiker Marko Perković, Bühnenname Thompson, bei der Rückkehr der Spieler nach Zagreb auf Einladung von Kapitän und Trainer im Mannschaft­sbus mit und stand bei dem feierliche­n Empfang auf der Bühne mit der Mannschaft. Im Ausland werden seine Konzerte wegen Verherrlic­hung des faschistis­chen Ustascha-Staates häufig verboten. „Noch erschrecke­nder ist, dass sich kaum jemand in Kroatien daran störte“, schrieb Michael Martens, der Balkankorr­espondent der FAZ, und zog den Schluss, dass der kroatische Nationalis­mus übelster Art einen D Aufwind erlebe. ass die im Ausland weltoffen wirkende Staatspräs­identin die Errichtung eine „Historiker­kommission“zur „Wahrheitsf­indung“über die Konzentrat­ionslager Jasenovac und Stara Gradiška vorgeschla­gen hat, wo während der mit Hitler verbundene­n UstaschaHe­rrschaft zehntausen­de Serben, Juden, Roma und Regimegegn­er umgebracht wurden, wird von liberalen Beobachter­n ebenso kritisiert wie ihre auffallend­e Nähe zu rechtsnati­onalistisc­hen Kreisen. Im Gegensatz zu dem gemäßigten konservati­ven Premiermin­ister Andrej Plenković hat sie zum Beispiel gegen eine umstritten­e Initiative zum Referendum über die Einschränk­ung der Rechte der Abgeordnet­en der serbischen Minderheit nicht Stellung genommen. Präsidenti­n Grabar-Kitarović arbeitet zielstrebi­g und anscheinen­d erfolgreic­h für ihre Wiederwahl im nächsten Jahr. Jenseits des Fußballtri­umphes ist die Bilanz fünf Jahre nach dem Beitritt zur EU nicht nur hinsichtli­ch der Salonfähig­keit der faschistis­chen Symbolik düster. Auch die hohe Arbeitslos­igkeit (11,5 Prozent) vor allem der Jugend (29,4 Prozent) bleibt, zusammen mit der Massenemig­ration der Fachkräfte, eine Hauptsorge der Kroaten. Kein Wunder also, dass trotz der Fördertran­sfers aus Brüssel nur eine Minderheit (36 Prozent der Befragten) eine positive Haltung zur EU bekundet.

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