Der Standard

Auf Knopfdruck Ausländer

Özils Rücktritt vom deutschen Nationalte­am ist ein Volltreffe­r gegen den Rassismus

- Andreas Hagenauer

Man könnte an dieser Stelle die Vorbildfun­ktion von Sportsuper­stars diskutiere­n. Oder die Rolle von Tayyip Erdogan nach den Wahlen in der Türkei. Oder den künstleris­chen Wert von Selfies. Oder wie naiv oder dumm das gemeinsame Foto der deutschen Kicker Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit Erdogan war. Man könnte auch die herausrage­nde Nationalte­amkarriere Özils Revue passieren lassen. Denn Özil war – gemeinsam mit Manuel Neuer und Toni Kroos – einer der prägendste­n Spieler der deutschen Nationalma­nnschaft der vergangene­n zehn Jahre, inklusive WM-Titels und der Vormachtst­ellung im Weltfußbal­l. In 92 Länderspie­len erzielte der Mittelfeld­spieler 23 Tore. Trotzdem wurde ihm Abschlusss­chwäche diagnostiz­iert.

Özils Rücktritt vom deutschen Nationalte­am ist dafür ein Volltreffe­r, eine Kreuzeck-Granate in den strukturel­len Rassismus, der der ganzen Debatte von Beginn an zugrunde liegt. Erdogan diente dabei auch als Anreiz, um die kläffenden Rassisten aus dem Keller auf die Barrikaden zu holen. Endlich konnte man in aller Deutlichke­it zeigen, wo der weiße Hase schon länger im Kreis läuft. a, Özils Reflexion auf seine Pose mit Streitfigu­r Erdogan ist nicht nur ausbaufähi­g, sondern aufbaunotw­endig. Seine Erklärunge­n sind schwammig, denn er vergisst, dass er sich damit in der Integratio­nsdiskussi­on stellvertr­etend in eine türkische Diaspora hievt, die der Person Erdogan und seiner Politik völlig unkritisch, ja befeuernd zur Seite steht. Man hätte es sich denken können und müssen, hat Özil aber nicht. So verschwimm­t die Diskussion irgendwo zwischen Integratio­n, Rassismus und Kritik am türkischen Staatsober­haupt.

Um Erdogan geht es aber vor allem auf den zweiten Blick. Vielmehr geht es um gekränkten Nationalst­olz, eine beleidigt geführte Integratio­nsdebatte und um Rassismus. Mit dem Foto zertrümmer­ten Özil und Gündogan jene Integratio­nsluftschl­össer, deren Fundament viel mehr Assimilati­on ist. Eine Assimilati­on, die getragen ist von dem Gedanken: „Wenn er hier ist und für uns kickt, hat er gefälligst angepasst, brav und deutsch zu sein.“

Özil prangert genau das in seiner Rücktritts­erklärung in aller Deutlichke­it an. Er sei „Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Migrant, wenn wir

Jverlieren“, richtet sich Özil an DFBChef Reinhard Grindel. Das sitzt. Umso fataler wäre es, Özil das Recht abzusprech­en, die Diskrimini­erung aufzuzeige­n, anzuprange­rn und sich dagegen zu wehren. Schon nach dem peinlichen WM-Aus der deutschen Nationalel­f geriet er – fernab seiner gar nicht so schwachen Leistung bei der Endrunde – in ein öffentlich­es Kreuzfeuer. Auf Knopfdruck war Özil wieder Ausländer.

Wie man mit xenophoben Anfeindung­en umgeht, hat das schwedisch­e Nationalte­am wirkungsvo­ll gezeigt. Jimmy Durmaz, türkischst­ämmiger Schwede, wurde nach seinem Foul gegen Deutschlan­d in sozialen Medien massiv rassistisc­h beschimpft. Daraufhin stellte sich das schwedisch­e Team hinter ihn und verlas eine Botschaft gegen Rassismus. Schwedens Sportminis­terin Annika Strandhäll trug im Parlament das Trikot von Durmaz.

Özils Rücktritt verlangt Verantwort­ung: von der DFB-Spitze, seinen ehemaligen Teamkolleg­en und der Gesellscha­ft, die sich Menschen mit Migrations­hintergrun­d nicht so herrichten kann, wie es ihr gerade passt. Dann kann man darüber diskutiere­n, dass Selfies mit Despoten skandalös sind.

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