Auf Knopfdruck Ausländer
Özils Rücktritt vom deutschen Nationalteam ist ein Volltreffer gegen den Rassismus
Man könnte an dieser Stelle die Vorbildfunktion von Sportsuperstars diskutieren. Oder die Rolle von Tayyip Erdogan nach den Wahlen in der Türkei. Oder den künstlerischen Wert von Selfies. Oder wie naiv oder dumm das gemeinsame Foto der deutschen Kicker Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit Erdogan war. Man könnte auch die herausragende Nationalteamkarriere Özils Revue passieren lassen. Denn Özil war – gemeinsam mit Manuel Neuer und Toni Kroos – einer der prägendsten Spieler der deutschen Nationalmannschaft der vergangenen zehn Jahre, inklusive WM-Titels und der Vormachtstellung im Weltfußball. In 92 Länderspielen erzielte der Mittelfeldspieler 23 Tore. Trotzdem wurde ihm Abschlussschwäche diagnostiziert.
Özils Rücktritt vom deutschen Nationalteam ist dafür ein Volltreffer, eine Kreuzeck-Granate in den strukturellen Rassismus, der der ganzen Debatte von Beginn an zugrunde liegt. Erdogan diente dabei auch als Anreiz, um die kläffenden Rassisten aus dem Keller auf die Barrikaden zu holen. Endlich konnte man in aller Deutlichkeit zeigen, wo der weiße Hase schon länger im Kreis läuft. a, Özils Reflexion auf seine Pose mit Streitfigur Erdogan ist nicht nur ausbaufähig, sondern aufbaunotwendig. Seine Erklärungen sind schwammig, denn er vergisst, dass er sich damit in der Integrationsdiskussion stellvertretend in eine türkische Diaspora hievt, die der Person Erdogan und seiner Politik völlig unkritisch, ja befeuernd zur Seite steht. Man hätte es sich denken können und müssen, hat Özil aber nicht. So verschwimmt die Diskussion irgendwo zwischen Integration, Rassismus und Kritik am türkischen Staatsoberhaupt.
Um Erdogan geht es aber vor allem auf den zweiten Blick. Vielmehr geht es um gekränkten Nationalstolz, eine beleidigt geführte Integrationsdebatte und um Rassismus. Mit dem Foto zertrümmerten Özil und Gündogan jene Integrationsluftschlösser, deren Fundament viel mehr Assimilation ist. Eine Assimilation, die getragen ist von dem Gedanken: „Wenn er hier ist und für uns kickt, hat er gefälligst angepasst, brav und deutsch zu sein.“
Özil prangert genau das in seiner Rücktrittserklärung in aller Deutlichkeit an. Er sei „Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Migrant, wenn wir
Jverlieren“, richtet sich Özil an DFBChef Reinhard Grindel. Das sitzt. Umso fataler wäre es, Özil das Recht abzusprechen, die Diskriminierung aufzuzeigen, anzuprangern und sich dagegen zu wehren. Schon nach dem peinlichen WM-Aus der deutschen Nationalelf geriet er – fernab seiner gar nicht so schwachen Leistung bei der Endrunde – in ein öffentliches Kreuzfeuer. Auf Knopfdruck war Özil wieder Ausländer.
Wie man mit xenophoben Anfeindungen umgeht, hat das schwedische Nationalteam wirkungsvoll gezeigt. Jimmy Durmaz, türkischstämmiger Schwede, wurde nach seinem Foul gegen Deutschland in sozialen Medien massiv rassistisch beschimpft. Daraufhin stellte sich das schwedische Team hinter ihn und verlas eine Botschaft gegen Rassismus. Schwedens Sportministerin Annika Strandhäll trug im Parlament das Trikot von Durmaz.
Özils Rücktritt verlangt Verantwortung: von der DFB-Spitze, seinen ehemaligen Teamkollegen und der Gesellschaft, die sich Menschen mit Migrationshintergrund nicht so herrichten kann, wie es ihr gerade passt. Dann kann man darüber diskutieren, dass Selfies mit Despoten skandalös sind.