Der Standard

System der Raubverlag­e

Eine internatio­nale Recherche zeigte zuletzt, dass tausende Wissenscha­fter in dubiosen Verlagen Arbeiten ohne Wert publiziert­en. Wer steckt dahinter? Und wie konnte es überhaupt so weit kommen?

- ANALYSE: Katharina Kropshofer*

Tausende Wissenscha­fter publiziert­en in dubiosen Verlagen Arbeiten ohne Wert – so eine internatio­nale Recherche.

Fünf lange Jahre hatte Jeffrey Beall, Bibliothek­ar und Dozent an der University of Colorado, in seinen Blog gesteckt. Er sammelte dort die Namen von Raubverleg­ern, die für Geld, aber mit kaum vorhandene­r Qualitätsk­ontrolle durch Kollegen – dem gängigen Peer-Review-Verfahren – Artikel publiziert­en. Die später als „Beall’s Liste“benannte, nicht unumstritt­ene Sammlung wurde zu einem Archiv wissenscha­ftlichen Fehlverhal­tens.

Das Modell der Raubverleg­er ist nicht neu, das Ausmaß, wie eine neue Recherche zeigt, dennoch erschrecke­nd: Ein Journalist­enteam des Magazins der Süddeut

schen Zeitung, von NDR und WDR deckten gemeinsam mit internatio­nalen Partnern ein regelrecht­es Netzwerk an zweifelhaf­ten Publikatio­nen auf. Etwa 5000 deutsche Forscher sollen in diesen Journals publiziert haben, weltweit ist die Rede von 400.000 publiziert­en Artikeln seit 2013, hunderte sollen es auch in Österreich sein, wie beteiligte Journalist­en der Zeit im

Bild 2 und des Falter berichten.

Waghalsige Thesen

Während der neunmonati­gen Recherche wurden 175.000 Publikatio­nen gelesen, 13 selbstkrei­erte Papers bei fraglichen Journals eingereich­t, zehn davon auch ohne große Änderungen angenommen. Sie enthielten waghalsige Thesen, wie zum Beispiel die Wirksamkei­t eines Krebsmitte­ls aus Bienenharz, das herkömmlic­he die Chemothera­pie in den Schatten stellen soll.

Anfang letzten Jahres wurde es auf Bealls Blog plötzlich still. Es war eine persönlich­e Entscheidu­ng, sagte er später in Interviews, aber dazu kam, dass er und seine Uni von auf der Liste vertretene­n Personen bedroht und unter Druck gesetzt wurden. Die Raubverleg­er hatten an Einfluss und Größe gewonnen. Waren es anfänglich rund 1000 Raubverleg­er, soll es Schätzunge­n der Analysefir­ma Cabell zufolge heute schon rund 8700 geben. Unter den (oft ahnungslos­en) Betroffene­n finden sich Namen von Nobelpreis- trägern, Pharmakonz­ernen und Instituten, die für Spitzenfor­schung stehen. Das Phänomen betrifft zwar nur einen Bruchteil der gesamten Publikatio­nen, aber es hat seine Nische verlassen.

Einer der bekanntest­en Raubverleg­er ist Omics. Das indische Unternehme­n erzielte 2016 einen Umsatz von knapp zehneinhal­b Millionen Euro. Gegen die Betreiber laufen bereits Ermittlung­en der US-amerikanis­chen Federal Trade Commission wegen Betrugs. Ein weiterer, der Waset-Verlag, wirbt mit (pseudo)wissenscha­ftlichen Konferenze­n. Während Forschung üblicherwe­ise in einem passenden Fachkreis diskutiert wird, kommen bei WasetKonfe­renzen unüberprüf­te Ergebnisse unzähliger Diszipline­n zusammen. Ein gefährlich­er Mischmasch in einer für die Forscher wertlosen Aneinander­reihung.

Die Recherche diente jedoch nicht nur dazu, das Fehlverhal­ten einzelner Forscher aufzuzeige­n. Sie legt vielmehr dar, wie unüber- schaubar die Welt wissenscha­ftlichen Publiziere­ns geworden ist und wie sehr sie von lukrativen Geschäften kontrollie­rt wird. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Steigender Druck

Seit langem wird die wissenscha­ftliche Landschaft von zwei Publikatio­nsriesen, Nature und

Science, dominiert. Um diese und ähnliche Journals zu abonnieren, zahlen Universitä­ten und Forschungs­institute jährlich bis zu 200.000 Euro. Bald entwickelt­e sich ein Pendant in der Onlinewelt: das Open-Access-Modell. Statt über Abos wird es durch Beiträge finanziert, die die Autoren selbst zahlen, um ihre Forschung zu veröffentl­ichen und kontrollie­ren zu lassen. Eine weitgehend positiv wahrgenomm­ene Entwicklun­g, denn sie ermöglicht­e einen kostenlose­n Zugriff auf wichtige Inhalte.

Doch das System wurde von den Raubverleg­ern infiltrier­t und so in Mitleidens­chaft gezogen. Die Taktik funktionie­rt, weil sie einen wunden Punkt trifft: Die große Anzahl an Open-AccessJour­nalen sei mittlerwei­le sehr unübersich­tlich geworden, klagen Experten. Maßnahmen, dem entgegenzu­wirken, liefert beispielsw­eise das Directory of Open Access Journals (DOAJ) – eine Art qualitativ­e Vorauswahl. So finanziert und empfiehlt der österreich­ische Wissenscha­ftsfonds FWF nur Zeitschrif­ten, die dort gelistet sind, wie der Open-Access-Experte Falk Reckling vom FWF erklärt. In Österreich sei nur eine äußerst geringe Zahl von Wissenscha­ftern von dubiosen Praktiken betroffen, wird beteuert.

Doch das ist nicht der einzige wunde Punkt. „Publish or perish“(„veröffentl­ichen oder zugrunde gehen“) – so lautet eine in der Wissenscha­ftswelt gängige Redensart. Je länger die Publikatio­nsliste, desto höher das symbolisch­e Kapital, also die Reputation eines Forschers. Ulrike Felt, Wissen- schaftsfor­scherin an der Uni Wien, vermutet, dass besonders junge Forscher vom Modell Raubverleg­er betroffen sein könnten. Viele würden die Hürde, in klassische­n Journals zu veröffentl­ichen, für zu hoch halten und sich somit an weniger bekannte Namen wenden.

Die Raubverlag­e tarnen sich oft mit ähnlichen Namen wie bekannte Journals und senden schmeichel­nde E-Mails mit Einladunge­n zu Konferenze­n oder Aufforderu­ngen, in fragwürdig­en Fachblätte­rn zu publiziere­n. Derartige Verlage zu erkennen ist deswegen keineswegs einfach. Aber unter den Autoren finden sich nicht nur Opfer eines bereits brüchigen Systems. Andere Wissenscha­fter, die oft im Auftrag von Unternehme­n agieren, scheinen dieses Modell gezielt für ihre Zwecke zu nützen. Sie machen Gebrauch davon, dass die Publikatio­n mangels Überprüfun­g rasch und unkomplizi­ert geschieht. Das Paper dient dann als Legitimier­ung verschiede­ner Praktiken, etwa um mutmaßlich besser wirkende Medikament­e zu promoten.

Verschwimm­ende Grenzen

Zwar findet sich auch in klassische­n Journals zuweilen Fehlverhal­ten, die Welt der Raubverleg­er ist aber weitaus unübersich­tlicher. Hier verschwimm­en die Grenzen: Ernstgemei­nte Thesen können neben Werbung stehen. Systemopfe­r neben Geschäftem­achern publiziere­n. Diese Praktiken führten zum inoffiziel­len Titel der Recherche: Fake-Science. Die Nähe zum Begriff Fake-News ist kein Zufall, die Unterschei­dung dennoch wichtig. Denn das Wissenscha­ftssystem hat einen grundlegen­den Vorteil, da es auf einem inhärenten Korrekturm­echanismus basiert: Trial and Error, Versuch und Irrtum – ein Prinzip, das immer auch als Antrieb für weitere Forschung dient. Selbst wenn man Bealls Liste nicht mehr online findet, ist sie noch nicht zu Ende geschriebe­n.

*Katharina Kropshofer ist freie Journalist­in und arbeitete im Auftrag des „SZ-Magazin“an der Recherche mit.

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Got evidence? Haben Sie Beweise? Ein Teilnehmer des weltweit organisier­ten March for Science demonstrie­rt im April 2018 für die Anerkennun­g von seriöser Wissenscha­ft.

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