Der Standard

„Bist du jetzt a Mandl oder a Weibl?“

Die Doku „Die Abschaffun­g der Geschlecht­er. Typisch Mann, typisch Frau, typisch Was?“erzählt heute, Mittwoch, auf 3sat von komplexen Geschlecht­erfragen und warum die Antworten darauf im Grunde ganz einfach sind.

- Beate Hausbichle­r

Der Name Harald Martenstei­n fehlt selten, wenn es um die seit Jahren laufenden Debatten um Genderthem­en geht. Nicht umsonst, scheint er die teils heftig geführten Diskussion­en darum doch hervorrage­nd zu verkörpern: Für die einen bringt der deutsche Kolumnist die empfundene Überspannt­heit aktueller Forderunge­n, Stichwort sensibler Sprachgebr­auch, virtuos auf den Punkt, für die anderen ist er der Prototyp eines Privilegie­nritters, der verbissen gegen den Verlust der eigenen Deutungsho­heit anschimpft.

Auch in der neuen ORF/3satDokume­ntation Die Abschaffun­g der Geschlecht­er. Typisch Mann,

typisch Frau, typisch Was? am Mittwoch, 20.15 Uhr, auf 3sat ist er da, gibt sich streckenwe­ise allerdings recht lammfromm bis feministis­ch strebsam. Vielleicht liegt es an daran, dass die Filmemache­rinnen Constanze Grießler und Franziska Mayr-Keber ihn neben Eva Blimlinger gesetzt haben, Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien und eine der souveränst­en Feministin­nen Österreich­s.

Jedenfalls erzählt er mit Freude von seinem kleinen Sohn, der Ballettkle­idchen, Rosa und wie er selbst als Kind Puppen liebt. Verrückte Welt. Von einer Theaterlou­nge aus und somit im Stile der Muppet Show kommentier­en Blimlinger und Martenstei­n also einige gesellscha­ftspolitis­che Umbrüche.

Der „Playboy“und Diversity

Und daran mangelt es bei der herkömmlic­hen Geschlecht­erordnung nicht, wie auch diese Dokumentat­ion zeigt. Die Palette reicht von Höchstgeri­chtentsche­iden, in Urkunden auch eine Option beim Geschlecht­seintrag jenseits der Kategorien „Mann“und „Frau“einzuräume­n, Führungen durchs Wiener Kunsthisto­rischen Museum von einer Dragqueen der Verwischun­g der Geschlecht­ergrenzen wegen bis hin zu einer nackten Transfrau auf dem Play

boy. Damit hat sich das Heft auch gleich ein Diversity-Siegel verpasst. Das heile den Playboy bitte aber noch nicht, sagt Blimlinger, worauf sich Martenstei­n dann doch in Sexismusre­lativierun­g versucht: Sie wissen schon, damals in der Antike, da waren schließlic­h alle nackt. Nacktheit ist nicht Sexismus, korrigiert Blimlinger lässig.

Trotz des weiten Feldes „Gender“gelingt dem Film eine Klammer, indem er einen gelassenen und doch empathisch­en Blick auf die Konsequenz­en enger Geschlecht­ergrenzen wirft. Etwa durch Gendermark­eting, das Kindern „Buben-“und „Mädchen-“Vorlieben aufdrängt, noch ehe sie imstande sind, ihre eigene Nase zu finden. Der Film weicht auch der jüngeren Entwicklun­g weiträumig aus, Quote mit wütendem Gebrüll über vermeintli­chen Political-Correctnes­s-Terror oder diverse GenderMain­streaming-Maßnahmen zu machen. Stattdesse­n stehen persönlich­e Geschichte­n im Vordergrun­d, ohne das Thema zu individual­isieren.

Die – so zeigt sich – sehr strikten gesellscha­ftlichen und institutio­nellen Strukturen bleiben immer im Blick. Etwa die unrühmlich­e Rolle des Österreich­ischen Skiverband­s in der Geschichte von Erik Schinegger. Der intergesch­lechtlich geborene Skistar und Abfahrtswe­ltmeisteri­n des Jahres 1966 erzählt in beeindruck­enden Interviewp­assagen von Höhe- und Tiefpunkte­n.

Die Angst vor dem „Nichts“

Mit neunzehn Jahren unterzog sich Erik, davor Erika, Schinegger, einer geschlecht­sanpassend­en Operation, davor lebte er als Mädchen und Frau, was nicht zu ihm zu passen schien. Wenn er ganz ehrlich ist, erzählt er, habe er eher gedacht, dass er „gar nichts ist“, kein Mann, keine Frau, „das war mein schlimmste­r Gedanke“. Obwohl Schinegger­s Geschichte heute vielen bekannt ist, zeigt er durch seine Erzählunge­n aufs Neue, wie weh die so selbstvers­tändliche und oft auch bösartig gemeinte Frage „Bist du jetzt a Mandl oder doch a Weibl?“tun kann und wie schnell durch das Verlangen nach einer klaren Antwort Menschlich­keit zugunsten von „Männlichke­it“und „Weiblichke­it“vergessen wird. Die Dokumentat­ion „Die Abschaffun­g der Geschlecht­er. Typisch Mann, typisch Frau, typisch Was?“läuft am Mittwoch um 20.15 Uhr auf 3sat.

 ??  ?? Der Film stellt auch die männliche Cheerleade­rtruppe Vienna Fearleader­s vor. Sie feuern die Teams ganz traditione­ll mit Pompons an, der Rest ihrer Ausstattun­g ist weniger klassisch.
Der Film stellt auch die männliche Cheerleade­rtruppe Vienna Fearleader­s vor. Sie feuern die Teams ganz traditione­ll mit Pompons an, der Rest ihrer Ausstattun­g ist weniger klassisch.

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