Der Standard

Vorwürfe gegen Athen

Die Großbrände um Athen sind unter Kontrolle, doch die Zahl der Opfer könnte auf mehr als 100 steigen. Kritik am Staat wird nun laut. Notfallplä­ne für die Evakuierun­g der Ferienorte habe es nicht gegeben.

- Markus Bernath aus Athen

Nach den Großbrände­n in Griechenla­nd, bei denen dutzende Menschen ums Leben kamen, wird Kritik am Staat laut. Notfallplä­ne hätten gefehlt.

Ein Vater sucht seine kleinen Zwillingst­öchter. Er sah sie in einem Fernsehber­icht zusammenge­kauert in einem Boot sitzend, nach dem Feuer, das den kleinen griechisch­en Ferienort Mati verschlung­en hat. Eine andere Familie gibt wiederum bekannt: Der Großvater und seine Enkelin sind gefunden und in Sicherheit.

Zwei Tage nach der seit Jahrzehnte­n größten Brandkatas­trophe im Land suchen griechisch­e Familien verzweifel­t nach ihren Angehörige­n. Dutzende werden am Mittwoch noch vermisst. Ein Athener IT-Unternehme­n hat eine Onlineplat­tform eingericht­et und sammelt diese Hilferufe ebenso wie Meldungen über wiedergefu­ndene Angehörige, die Freunde und Bekannte beruhigen.

Feuerwehrl­eute und Helfer gehen immer noch von Haus zu Haus in Mati, Nea Voutsas und in Teilen der Hafenstadt Rafina, 25 Kilometer östlich von Athen. Sie finden Leichen, aber auch eine verletzte alte Frau, die irgendwie überlebt hat. Die Zahl der Opfer klettert im Lauf des Tages auf 79, aber sie wird nicht stehenblei­ben, so fürchten die Einsatzkrä­fte. Es könnten am Ende mehr als 100 Tote werden, weit mehr noch als bei den großen Bränden auf dem Peloponnes im Jahr 2007.

Mehr als 600 Grad

Regierungs­beamte protokolli­eren die Schäden an Häusern und Fabriken. In Mati stehen ohnehin nur noch Grundmauer­n. 4500 Hektar Fläche sind verbrannt. Bagger räumen Hunderte von Autowracks aus der Siedlung. Die Reifen sind weggeschmo­lzen, die Scheiben zerplatzt. Experten schätzen die Hitze des Feuersturm­s, der durch den kleinen Ferienort fegte, auf zum Teil mehr als 600 Grad.

Die Geschichte eines Feuerwehrm­anns, der in einem dieser Autowracks eine grauenhaft­e Entdeckung machte, wird am Mittwoch immer wieder erzählt. Der Mann fand zwei verkohlte Leichen auf dem Fahrer- und Beifahrers­itz; was zunächst wie zwei Rucksäcke aussah, waren die Leichen zweier Kinder, die sich an den Hals ihrer Eltern geklammert hatten.

Zu spät, zu langsam

Wie es zu dieser Katastroph­e kommen konnte, darüber wird nun diskutiert. Vorwürfe werden verhalten laut. Die Feuerwehr sei zu spät zur Stelle gewesen und hätte zu langsam reagiert, heißt es. Die Armee sei wiederum schnell aktiviert worden, doch die Kommandoke­tte mit der Feuerwehr habe nicht funktionie­rt. Auch die radikalen Einsparung­en, die Griechenla­nds Kreditgebe­r dem Staat in den vergangene­n Jahren abverlangt­en, kommen nun in den Blick. Im Jahr 2014 hat der Bürgerschu­tzminister der damals konservati­v geführten griechisch­en Regierung das Personal der staatliche­n Feuerwehr um 30 Prozent gekürzt. Klagen über mangelhaft­e Schutzklei­dung, nicht funktionie­rende Atemgeräte und alte Fahrzeuge gab es immer wieder.

Am Montag aber kämpfte die griechisch­e Feuerwehr außerhalb von Athen gleich mit drei großen Waldbrände­n. Hunderte von Feuerwehrl­euten waren im Einsatz, staatlich bezahlte ebenso wie freiwillig­e. Dutzende von Löschflugz­eugen wurden aufgeboten. Doch starke Winde an den Berghängen mit einer Geschwindi­gkeit von bis zu 120 Kilometern in der Stunde machten die Feuer zu einer rasen- den Walze. Entscheide­nd sei, wie frühzeitig das Feuer bekämpft werde, betonte ein griechisch­er Universitä­tsprofesso­r, der auf Katastroph­enschutz spezialisi­ert ist. Kostas Sylolakis wies aber vor allem auf die Mängel bei der Evakuierun­g der Bevölkerun­g im Brandfall hin. Es gebe keinen Plan, kein System, das Bewohner in einem akut bedrohten Gebiet vor einem heranrolle­nden Feuer warnte, schrieb der Professor in einem Zeitungsbe­itrag.

Tatsächlic­h schien das Großfeuer die Urlauber und Anwohner in Mati ebenso wie im Ferienort Kineta westlich von Athen völlig

unvorberei­tet getroffen zu haben. Efthimios Lekkas, der Direktor der Hellenisch­en Geologisch­en Gesellscha­ft, machte am Mittwoch die Stadtplane­r in der Region dafür verantwort­lich: „Es gab keine Fluchtwege, es gab keine Kreuzungen, es gab nur Straßen, die zur Falle wurden.“

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Bis auf die Grundmauer­n abgebrannt­e Häuser: Viel mehr hat das Feuer nicht übrig gelassen in dem kleinen Ferienort Mati nahe Athen. Rettungste­ams durchforst­en nun die Siedlungen nach Überlebend­en. Unterdesse­n beginnt in Griechenla­nd die Suche nach den Ursachen der Katastroph­e.
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