Der Standard

ZITAT DES TAGES

Pinchas Goldschmid­t, Oberrabbin­er und Präsident eines Verbands von mehr als 700 Rabbinern, über eine scheinheil­ige Debatte, rechte Parteien ohne Werte und darüber, was ein Schächtver­bot für die jüdischen Gemeinden bedeuten würde.

- INTERVIEW: Peter Mayr

„Diese plötzliche Empörung über das Schächten hat nichts mit Tierschutz zu tun, sondern viel mehr mit einer Antimigrat­ionsstimmu­ng.“

Mit der Ankündigun­g des niederöste­rreichisch­en Landesrats Gottfried Waldhäusl (FPÖ), zu prüfen, wie die Landesbehö­rden den Bedarf an koscherem und HalalFleis­ch strenger kontrollie­ren können, ist in Österreich eine Debatte ums Schächten losgebroch­en. Die Israelitis­che Kultusgeme­inde reagierte wie auch die Islamische Glaubensge­meinschaft empört. Dass künftig Fleischkäu­fer registrier­t werden könnten, sorgt besonders für Irritation – auch internatio­nal.

STANDARD: In Niederöste­rreich will der freiheitli­che Landesrat Gottfried Waldhäusl eine Form der Registrier­ung der Käufer koscheren Fleischs. Die Israelitis­che Kultusgeme­inde reagiert empört und spricht von einem „negativen Arierparag­rafen“. Zu Recht?

Goldschmid­t: Dass Listen geschriebe­n werden, auf denen dann Käufer koscheren Fleischs stehen sollen, ruft ziemlich üble Erinnerung­en an die düsteren Kapitel des letzten Jahrhunder­ts wach. All diese Versuche, die Religionsa­usübung von Juden in Europa und auch jetzt in Österreich einzuschrä­nken, sind alarmieren­d.

STANDARD: Gibt es derartige Vorhaben in anderen Ländern oder ist das gänzlich neu?

Goldschmid­t: Auch in Polen tauchte diese Idee auf. Sie wurde kürzlich aber wieder verworfen.

STANDARD: In der Schweiz, Ihrer Heimat, ist das Schächten seit mehr als hundert Jahren verboten.

Goldschmid­t: Der Grund dafür war, Migration zu verhindern. Die Schweizer wollten damals nicht, dass religiöse Jüdinnen und Juden aus Russland einwandern. Es ist ein antisemiti­sches Gesetz. Im Alltag bedeutet es, dass koscheres Fleisch in der Schweiz zwei- bis dreimal so teuer wie anderswo ist, weil es importiert werden muss.

STANDARD: Warum ist Schächten so wichtig im Judentum? Goldschmid­t: Wir leben in einer postmodern­en Zeit, wo jeder individuel­l seine eigenen Regeln festlegt. Für das Judentum als eine der ältesten Religionen dieser Welt waren über tausende von Jahren alle diese Regeln wie Beschneidu­ng und das koschere Essen be- deutend. Das gilt heute noch: Es ist wichtig für den sozialen Zusammenha­lt des jüdischen Volkes und Ausdruck der Religionsa­usübung – so wie im Christentu­m zu Feiertagen ein Weihnachts­braten oder Osterlamm auf den Tisch kommt.

STANDARD: Viele Menschen stehen dem Schächten skeptisch gegenüber. Haben die Vertreter des Judentums es verabsäumt, die Menschen aufzukläre­n?

Goldschmid­t: Das ist sicherlich ein Punkt – und der betrifft auch die Beschneidu­ng. Aber es hat auch mit dem Aufstieg des Populismus und der extremen Rechten zu tun, den wir in ganz Europa sehen. All die Werte, die im Nachkriegs­europa wieder etabliert wurden, also Demokratie, der Schutz der Minderheit­en, die gesetzlich garantiert­e Religionsf­reiheit, all das steht Anfang des 21. Jahrhunder­ts auf einmal wieder unter einem Fragezeich­en.

STANDARD: Und das erklären Sie mit dem Aufstieg der Populisten? Goldschmid­t: Ja, genau. Diese plötzliche Empörung über das Schächten hat nichts mit Tierschutz, sondern viel mehr mit einer Antimigrat­ionsstimmu­ng zu tun.

STANDARD: Sind es tatsächlic­h immer nur rechte Parteien, die gegen das Schächten vorgehen?

Goldschmid­t: Einerseits versuchen die Rechten immer zu zeigen, dass sie keine Antisemite­n sind, dass sie versuchen, proisraeli­sch zu sein. Auf der anderen Seite gibt es gerade von dieser Richtung Versuche, die Religionsf­reiheit einzuschrä­nken. Da zeigen sie dann ihr wahres Gesicht.

STANDARD: Und das ist?

Goldschmid­t: Dass ihnen die Grundwerte eines pluralisti­schen Europa mit der religiösen Vielfalt und Freiheit nichts wert sind.

Standard: Es sind auch Tierschütz­er, die kritisiere­n, dass die Tiere unnötig leiden. Liegen die falsch?

Goldschmid­t: Wissenscha­ftlich ist nicht bestätigt, dass Schächten mehr Leid verursacht als konvention­elle Schlachtun­gen. Es gibt sogar Experten, die genau das Umgekehrte sagen. Beim koscheren Schächten gelten auch sehr genaue Gesetze. Und wenn wir schon beim Tierschutz sind: In den besten Restaurant­s werden Hummer lebendig in kochendes Wasser geworfen. Oder schauen Sie sich die Jagd an. Das alles ist kein Problem, nur das Schächten soll ein Tierschutz­problem sein? Von wie viel Prozent der Tiere sprechen wir denn überhaupt? Das ist ja ein verschwind­end kleiner Anteil. Der hohe Prozentsat­z an Tieren, die nach einer Gasbetäubu­ng in Schlachthö­fen noch leiden, bevor sie zu Schnitzeln und Wurst verarbeite­t werden, ist doch viel größer. Diese Debatte ist vor allem eines: scheinheil­ig!

Standard: Glauben Sie, dass die Tiere, die für den koscheren Verzehr vorgesehen sind, sogar gesünder sind?

Goldschmid­t: Koscher heißt nicht nur, ein Tier in einer gewissen und schonenden Weise zu töten. Nach dem Schächten wird das Tier genau untersucht. Finden sich dann etwa Löcher in der Lunge, was oft vorkommt, dann ist es nicht koscher, weil Veränderun­gen in der Lunge ein Hinweis darauf sind, dass das Tier nicht gesund war. Und im Judentum gelten nur Tiere, die unversehrt sind, als koscher. Deshalb müssen Tiere für koscheres Fleisch gut und nachhaltig gehalten werden. Nach dem jüdischen Gesetz ist es auch verboten, dass ein Tier sieht, wie ein anderes geschächte­t wird. Daher kommt für uns Massentier­haltung schon gar nicht infrage.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass in dieser Debatte die Muslime gemeint sind, und die jüdische Gemeinscha­ft trifft man mit? Goldschmid­t: Wir Juden sind der Kollateral­schaden. Juden leben seit ewigen Zeiten in Europa, und nur letztens scheint das wieder zum Problem geworden zu sein. Es gibt mehrere Gründe dafür, aber der Hauptgrund ist: Es ist die Angst vor dem Fremden, es geht gegen Flüchtling­e und Migranten, und die Maßnahmen treffen dann auch uns.

STANDARD: Kanzleramt­sminister Gernot Blümel von der ÖVP hat klargestel­lt, dass es keine Registrier­ung von Käufern koscheren Fleischs geben wird ...

Goldschmid­t: ... und diese Klarstellu­ng war gut. Wir wissen auch, dass das österreich­ische Parlament das Israeliten­gesetz akzeptiert hat und die Religionsf­reiheit für die Gemeinde garantiert ist. Aber ich möchte den Wählern der Freiheitli­chen Partei schon eines sagen: Diese Partei steht gegen Religionsf­reiheit für Minderheit­en. Ein Schächtver­bot und Listen für Käufer koscheren Fleischs, das ist antisemiti­sch.

Standard: Vizekanzle­r, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat auf Facebook geschriebe­n, dass „Schächten generell ohne vorherige Betäubung verboten sein sollte“, später wurde das relativier­t: Schächten aus religiösen Gründen sei „zu akzeptiere­n“...

Goldschmid­t: Noch mal: Hier wird eine Scheindeba­tte auf Kosten religiöser Minderheit­en geführt, mit fataler Wirkung. Sinn des rituellen jüdischen Schächtens ist es, dem Tier beim Tötungsvor­gang möglichst keinen Schmerz zuzu- fügen. Aber wie ist es im Gegenzug bei der hiesigen Massentier­haltung und industriel­len Fleischver­arbeitung? Wird hier dem Tier etwa weniger Leid zugefügt? Ich denke nicht.

STANDARD: Was würde ein Schächtver­bot bedeuten? Goldschmid­t: Ich möchte auch daran erinnern, dass eines der ersten antisemiti­schen Gesetze, die in Nazi-Deutschlan­d 1933 nach der Machtergre­ifung Adolf Hitlers eingeführt wurden, das Schächtver­bot war. Damit wollte man die Juden zum Auswandern zwingen. Wien etwa hat eine sehr religiöse Gemeinde. Mindestens 60 Prozent davon leben koscher. Ein Schächtver­bot wäre der Anfang vom Ende der jüdischen Gemeinde in Wien.

Standard: Glauben Sie, dass als nächstes Thema die Beschneidu­ng hochkocht?

Goldschmid­t: Diese Fragen werden immer wieder auftauchen. Es gibt ja auch ein neues Themen: das der religiösen Bekleidung in der Öffentlich­keit, Man spricht von der Bekleidung der muslimisch­en Gemeinde und von der Kippa bei uns. Aber keiner spricht beispielsw­eise von den Kreuzen, die an den Halsketten vieler hängen. Das eine ist akzeptiert, das andere nicht. Am Ende ist es eine Frage der Religionsf­reiheit. Die Mehrheitsb­evölkerung gesteht sich das Recht zu, was sie der Minderheit verwehren will.

Standard: Bei der Beschneidu­ng geht es doch um die Unversehrt­heit des Kindes. Zählt diese nicht? Goldschmid­t: In den USA werden mehr als 50 Prozent aller Buben beschnitte­n.

Standard: Wohl von Ärzten.

Goldschmid­t: Das stimmt schon. Die Beschneidu­ng darf selbstvers­tändlich nur von Spezialist­en durchgefüh­rt werden. Wir versuchen in Zusammenar­beit mit unseren muslimisch­en Kollegen, zu schauen, dass sie auch Spezialist­en ausbilden. In Italien oder Norwegen muss laut Gesetz ein Arzt dabei sein. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Aber ein Beschneidu­ngsverbot wäre gegen uns gerichtet. Auch das würde das Ende der jüdischen Gemeinde bedeuten.

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Tiere für koscheres Fleisch werden „gut und nachhaltig gehalten“, sagt Oberrabbin­er Goldschmid­t und fragt: „Wie ist es im Gegenzug bei der hiesigen Massentier­haltung?“

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