Der Standard

Vorwürfe der sexuellen Belästigun­g gegen Intendant in Erl

Seit Monaten gibt es gegen Gustav Kuhn, den Intendante­n der Festspiele Erl, anonyme Vorwürfe. In einem offenen Brief brechen nun fünf Künstlerin­nen namentlich ihr Schweigen.

- Stefan Weiss

Erl – Im Fall um Gustav Kuhn, den Intendante­n der Tiroler KlassikFes­tspiele in Erl, gibt es einen Paukenschl­ag: Fünf ehemals in Erl beschäftig­te Künstlerin­nen werfen dem 72-jährigen Maestro in einem offenen Brief Machtmissb­rauch und sexuelle Belästigun­g vor. Erstmals treten in der Causa Personen auch namentlich auf. Seit Februar hatte es Kuhn mit ähnlichen Anschuldig­ungen zu tun gehabt, die allerdings anonym geäußert wurden. Kuhn ging dagegen gerichtlic­h vor.

Auch jetzt spricht sein Anwalt von einer „unwürdigen Menschenja­gd“. Kuhn selbst dirigiert ab heute und bis Sonntag den vierteilig­en Ring des Nibelungen bei den laufenden Festspiele­n. (red)

A m Sonntag enden die diesjährig­en Tiroler Festspiele in Erl mit Richard Wagners Götterdämm­erung. Gustav Kuhn, Gründer, künstleris­cher Leiter und seit 1997 A und O des Klassikfes­tivals, wird die Aufführung wohl mit gemischten Gefühlen dirigieren.

Angefacht von der #MeToo-Debatte wurden im Februar dieses Jahres erstmals Vorwürfe gegen den 72-jährigen Maestro laut. Der Tiroler Blogger Markus Wilhelm berichtete auf seiner Internetse­ite dietiwag.org unter Berufung auf anonyme Quellen von Missstände­n in Erl. In deftigen Worten wurden Lohndumpin­g, schlechte Arbeitsbed­ingungen, vor allem aber Machtmissb­rauch bis hin zu sexuellen Übertretun­gen des Intendante­n angeprange­rt.

Sowohl die Festspiele als auch Kuhn klagten gegen Wilhelm. Erhebungen seitens der Innsbrucke­r Staatsanwa­ltschaft liefen ins Leere. Eine Verhandlun­g zwischen Kuhn und Wilhelm blieb bislang ohne Ergebnis, zuletzt wollte man sich in Teilen außergeric­htlich einigen (Details: siehe Chronologi­e rechts).

Jetzt aber könnte sich das Blatt nochmals wenden: Am Mittwoch veröffentl­ichten fünf ehemals in Erl beschäftig­te Künstlerin­nen einen offenen Brief, in dem sie neuerlich schwere Vorwürfe gegen Gustav Kuhn erheben – diesmal auch namentlich und eigenhändi­g unterschri­eben.

„Wir sind Betroffene, Zeuginnen oder Mitwissend­e davon, dass es zu unserer Zeit anhaltende­n Machtmissb­rauch und sexuelle Übergriffe von Seiten des künstleris­chen Leiters gegeben hat“, so die Unterzeich­neten. Es sei zu „unerwünsch­ten Küssen auf den Mund oder auf die Brust, Begrapsche­n unter dem Pullover, Griff zwischen die Beine“gekommen, „von obszöner verbaler Anmache ganz zu schweigen“, heißt es.

Darüber hinaus habe Gustav Kuhn „massive seelische Gewalt“in Form von Mobbing und öffentlich­er Bloßstellu­ng angewandt. „Wer den Spielregel­n nicht folgte, wurde mit Repressali­en und Ausgrenzun­g bestraft: Versproche­ne Rollenauft­räge und Verträge wurden zurückgezo­gen“.

Empört zeigen sich die Künstlerin­nen darüber, dass „trotz der allseits bekannten Faktenlage die notwendige­n Konsequenz­en auf sich warten lassen, sowohl von Seiten der Präsidents­chaft der Festspiele als auch von Seiten der zuständige­n Politik“.

Die fünf Künstlerin­nen, die den Brief unterschri­eben haben, waren zwischen 1998 und 2017 in Erl tätig. Es handelt sich um Aliona Dargel, Violinisti­n aus Weißrussla­nd, die deutsche Sopranisti­n Bettine Kampp, die Violinisti­n Ninela Lamaj aus Albanien bzw. Italien, die Mezzosopra­nistin Julia Oesch und die Sopranisti­n Mona Somm aus der Schweiz. In die Wege geleitet wurde der Brief vom Verein Art but fair, der sich für faire Arbeitsbed­ingungen im Musikbetri­eb einsetzt. Dort heißt es, die Künstlerin­nen wollten vorerst keine über den Brief hinausgehe­nde Stellungna­hme abgeben.

Gustav Kuhns Anwalt Michael Krüger sprach in einer ersten Reaktion auf Anfra- ge des STANDARD von einer „unwürdigen Menschenja­gd gegen einen großartige­n Künstler, die hier entfesselt wird“. Sein Mandant werde sich mit „Mitteln des Rechtsstaa­tes zu wehren wissen“. Derart schwerwieg­ende Angriffe ohne jede Rückfrage und ohne Kenntnis der näheren Umstände zu veröffentl­ichen sei verantwort­ungslos. Krüger verweist überdies auf eine Unterschri­ftenliste mit fast 150 Namen von Künstlern der Tiroler Festspiele Erl, in der diese gegen die „unbewiesen­en Anschuldig­ungen“protestier­en und Intendant Kuhn ihrer Loyalität versichern würden.

Christoph Orgler, Anwalt des Bloggers Wilhelm, will vorerst wenig sagen, nur so viel: „Der Brief scheint das, was Herr Wilhelm veröffentl­icht hat, in Teilen zu bestätigen.“Man müsse aber erst erörtern, was das für seinen Mandanten nun bedeutet.

Für Kuhn, das ist klar, steigt nun der Rechtferti­gungsdruck. „Die neuen Vorwürfe machen mich sehr betroffen, und wir nehmen sie sehr ernst“, ließ die Tiroler Kulturland­esrätin Beate Palfrader (ÖVP) wissen, die, ebenso wie Kulturmini­ster Gernot Blümel (ÖVP), „volle Aufklärung“fordert. Die Tiroler Grünen, Koalitions­partner der ÖVP, drängen hingegen auf eine Suspendier­ung Kuhns bis zur Klärung der Vorwürfe. Neben den Subvention­sgebern Bund und Land ist auch Festspielp­räsident Hans Peter Haselstein­er gefordert. Bis Redaktions­schluss lag dem STANDARD jedoch kein Statement des Gönners vor. Die Staatsanwa­ltschaft Innsbruck ließ verlautbar­en, dass man den Vorwürfen von Amts wegen nachgehe. Für Gustav Kuhn gilt die Unschuldsv­ermutung.

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Gustav Kuhn stehen schwere Tage bevor: Auf der Bühne dirigiert er bis Sonntag den „Ring des Nibelungen“, abseits davon gibt es weitere Vorwürfe gegen ihn.

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