Strenges EuGH-Urteil zu neuer Gentechnik
Der EuGH überrascht mit einer restriktiven Entscheidung zu genetisch veränderten Organismen: Auch neue Verfahren, die sich grundlegend von klassischer Gentechnik unterscheiden, fallen künftig unter die strikten EU-Richtlinien.
Nach Jahren der juristischen Unsicherheit hat der Europäische Gerichtshof eine überraschend restriktive Entscheidung getroffen: für Organismen, die mit neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR erzeugt wurden, gelten strikte Zulassungsregelungen.
In einem wegweisenden Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Mittwoch ein restriktives Urteil über den Einsatz neuer Gentechnikmethoden in der Landwirtschaft gefällt: Auch Verfahren, die keine transgenen Organismen erzeugen, fallen unter die bestehenden Gentechnik-Richtlinien. Zuvor war in der EU unklar, wie neue Techniken wie die Gen-Schere CRISPR/Cas9 (siehe Wissen) rechtlich einzustufen sind.
Im Zentrum der Entscheidung standen sogenannte MutageneseVerfahren. Anders als in der klassischen Gentechnik werden dabei Organismen verändert, ohne artfremde Gene in ihr Erbgut einzubauen. Stattdessen werden vorhandene Gene gezielt ausgeschaltet oder Mutationen ausgelöst, die zum gewünschten Zuchtergebnis führen sollen. Am Endprodukt lässt sich diese Vorgehensweise nicht mehr feststellen.
Der EuGH hält dennoch die gleiche Risikobewertung wie für transgene Organismen für angebracht: „Die mit dem Einsatz dieser neuen Verfahren/Methoden der Mutagenese verbundenen Risiken könnten sich als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO durch Transgenese auftretenden Risiken erweisen“, heißt es im Urteilsspruch. Ausgenommen sind die mit Mutagenese-Verfahren gewonnenen Organismen, die seit langem als sicher gelten. Dabei handelt es sich vor allem um Produkte, die durch Behandlungen mit Chemikalien und radioaktiver Strahlung entstanden sind. Diese Methoden werden in der Pflanzenzucht seit Jahrzehnten eingesetzt, um Mutationen auszulösen.
Überraschendes Urteil
Die Entscheidung kommt insofern überraschend, als der Generalanwalt des EuGH, Michal Bobek, in einer Stellungnahme zur rechtlichen Bewertung des Verfahrens im Jänner eine andere Empfehlung abgegeben hatte: Er hatte argumentiert, dass mit CRISPR und vergleichbaren Techniken erzeugte Organismen nicht als gentechnisch verändert anzusehen seien, wenn die Veränderungen auch auf natürliche Weise entstanden sein könnten.
Einen klaren rechtlichen Rahmen gibt es bisher nur in wenigen Ländern, ähnlich restriktiv wie die EU urteilte bislang nur Neuseeland. Der EuGH hat sein restriktives Urteil mit dem Schutz der menschlichen Gesundheit argumentiert: Risiken, die sich aus der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt ergeben, müsse besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Umgang damit solle sich auf das Vorsorgeprinzip stützen.
Die Entscheidung sorgt für ausgesprochen unterschiedliche Reaktionen: Gentechnikkritiker jubeln, Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace sprechen von einem großen Erfolg. Auch Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und SPÖ-Konsumentenschutzsprecher Markus Vogl zeigten sich in ersten Reaktionen erfreut. Das für Landwirtschaft und Umwelt zuständige Nachhaltigkeitsministerium nahm das Urteil „zur Kenntnis“.
Unter vielen Wissenschaftern sorgt die Entscheidung indes für Unverständnis und Enttäuschung. Die Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission, Christiane Druml, kritisierte im Gespräch mit dem STANDARD, dass beim übermächtigen Fokus auf potenzielle Gefahren der mögliche Nutzen der neuen Technologien ins Hintertreffen gerate. Gerade in Zeiten des Klimawandels und einer rasant wachsenden Weltbevölkerung könnten CRISPR und vergleichbare Techniken große Vorteile gegenüber herkömmlicher Züchtung bieten.
Auf Ablehnung stößt die Entscheidung auch bei heimischen Branchenvertretern. SaatgutAustria-Obmann Michael Gohn sprach von einer „undifferenzierten sowie intransparenten Einstufung“und warnte vor Wettbewerbsnachteilen auf dem internationalen Markt, vor allem für kleine und mittlere Betriebe.
Lebensmittel, die mit neuen Methoden der Gentechnik produziert worden sind, müssen nun Fall für Fall eine Prüfung durchlaufen. Insofern markiert der Luxemburger Entscheid den Beginn einer wohl jahrelangen europäischen Debatte um die Herstellung genetisch veränderter Nahrungsmittel – und nicht den Schlussstrich, den sich viele erwartet hatten.