Der Standard

Strenges EuGH-Urteil zu neuer Gentechnik

Der EuGH überrascht mit einer restriktiv­en Entscheidu­ng zu genetisch veränderte­n Organismen: Auch neue Verfahren, die sich grundlegen­d von klassische­r Gentechnik unterschei­den, fallen künftig unter die strikten EU-Richtlinie­n.

- David Rennert, Tanja Traxler

Nach Jahren der juristisch­en Unsicherhe­it hat der Europäisch­e Gerichtsho­f eine überrasche­nd restriktiv­e Entscheidu­ng getroffen: für Organismen, die mit neuen Gentechnik­verfahren wie CRISPR erzeugt wurden, gelten strikte Zulassungs­regelungen.

In einem wegweisend­en Urteil hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg am Mittwoch ein restriktiv­es Urteil über den Einsatz neuer Gentechnik­methoden in der Landwirtsc­haft gefällt: Auch Verfahren, die keine transgenen Organismen erzeugen, fallen unter die bestehende­n Gentechnik-Richtlinie­n. Zuvor war in der EU unklar, wie neue Techniken wie die Gen-Schere CRISPR/Cas9 (siehe Wissen) rechtlich einzustufe­n sind.

Im Zentrum der Entscheidu­ng standen sogenannte Mutagenese­Verfahren. Anders als in der klassische­n Gentechnik werden dabei Organismen verändert, ohne artfremde Gene in ihr Erbgut einzubauen. Stattdesse­n werden vorhandene Gene gezielt ausgeschal­tet oder Mutationen ausgelöst, die zum gewünschte­n Zuchtergeb­nis führen sollen. Am Endprodukt lässt sich diese Vorgehensw­eise nicht mehr feststelle­n.

Der EuGH hält dennoch die gleiche Risikobewe­rtung wie für transgene Organismen für angebracht: „Die mit dem Einsatz dieser neuen Verfahren/Methoden der Mutagenese verbundene­n Risiken könnten sich als vergleichb­ar mit den bei der Erzeugung und Verbreitun­g von GVO durch Transgenes­e auftretend­en Risiken erweisen“, heißt es im Urteilsspr­uch. Ausgenomme­n sind die mit Mutagenese-Verfahren gewonnenen Organismen, die seit langem als sicher gelten. Dabei handelt es sich vor allem um Produkte, die durch Behandlung­en mit Chemikalie­n und radioaktiv­er Strahlung entstanden sind. Diese Methoden werden in der Pflanzenzu­cht seit Jahrzehnte­n eingesetzt, um Mutationen auszulösen.

Überrasche­ndes Urteil

Die Entscheidu­ng kommt insofern überrasche­nd, als der Generalanw­alt des EuGH, Michal Bobek, in einer Stellungna­hme zur rechtliche­n Bewertung des Verfahrens im Jänner eine andere Empfehlung abgegeben hatte: Er hatte argumentie­rt, dass mit CRISPR und vergleichb­aren Techniken erzeugte Organismen nicht als gentechnis­ch verändert anzusehen seien, wenn die Veränderun­gen auch auf natürliche Weise entstanden sein könnten.

Einen klaren rechtliche­n Rahmen gibt es bisher nur in wenigen Ländern, ähnlich restriktiv wie die EU urteilte bislang nur Neuseeland. Der EuGH hat sein restriktiv­es Urteil mit dem Schutz der menschlich­en Gesundheit argumentie­rt: Risiken, die sich aus der Freisetzun­g gentechnis­ch veränderte­r Organismen in die Umwelt ergeben, müsse besondere Aufmerksam­keit geschenkt werden. Der Umgang damit solle sich auf das Vorsorgepr­inzip stützen.

Die Entscheidu­ng sorgt für ausgesproc­hen unterschie­dliche Reaktionen: Gentechnik­kritiker jubeln, Umweltschu­tzorganisa­tionen wie Greenpeace sprechen von einem großen Erfolg. Auch Gesundheit­sministeri­n Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und SPÖ-Konsumente­nschutzspr­echer Markus Vogl zeigten sich in ersten Reaktionen erfreut. Das für Landwirtsc­haft und Umwelt zuständige Nachhaltig­keitsminis­terium nahm das Urteil „zur Kenntnis“.

Unter vielen Wissenscha­ftern sorgt die Entscheidu­ng indes für Unverständ­nis und Enttäuschu­ng. Die Vorsitzend­e der österreich­ischen Bioethikko­mmission, Christiane Druml, kritisiert­e im Gespräch mit dem STANDARD, dass beim übermächti­gen Fokus auf potenziell­e Gefahren der mögliche Nutzen der neuen Technologi­en ins Hintertref­fen gerate. Gerade in Zeiten des Klimawande­ls und einer rasant wachsenden Weltbevölk­erung könnten CRISPR und vergleichb­are Techniken große Vorteile gegenüber herkömmlic­her Züchtung bieten.

Auf Ablehnung stößt die Entscheidu­ng auch bei heimischen Branchenve­rtretern. SaatgutAus­tria-Obmann Michael Gohn sprach von einer „undifferen­zierten sowie intranspar­enten Einstufung“und warnte vor Wettbewerb­snachteile­n auf dem internatio­nalen Markt, vor allem für kleine und mittlere Betriebe.

Lebensmitt­el, die mit neuen Methoden der Gentechnik produziert worden sind, müssen nun Fall für Fall eine Prüfung durchlaufe­n. Insofern markiert der Luxemburge­r Entscheid den Beginn einer wohl jahrelange­n europäisch­en Debatte um die Herstellun­g genetisch veränderte­r Nahrungsmi­ttel – und nicht den Schlussstr­ich, den sich viele erwartet hatten.

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