Der Standard

Irland drängt Großbritan­nien zum Einlenken beim Brexit

Außenminis­ter Coveney: London kann sich EU-Austritt ohne Anschlussv­ereinbarun­g nicht leisten

- Sebastian Borger aus London

Auf der Tagesordnu­ng war das Stichwort nicht zu finden, und auch das Abschlussk­ommuniqué erwähnte den Brexit mit keinem Wort. Und doch stand Großbritan­niens geplanter EU-Austritt am Mittwoch im Mittelpunk­t der britisch-irischen Konsultati­onen in London. Der von der britischen Regierung neuerdings ins Spiel gebrachte „Chaos-Brexit“hätte „grundlegen­de negative Folgen für Irland und das Vereinigte Königreich“, mahnte der irische Außenminis­ter Simon Coveney. Alle Beteiligte­n seien in der Pflicht, eine Lösung zu finden.

Das Treffen Coveneys sowie seines Ministerko­llegen Charles Flanagan (Inneres) mit der Nordirland-Ministerin Karen Bradley und Vizepremie­r David Lidington war hauptsächl­ich anstehende­n bilaterale­n Problemen sowie der Regionalre­gierung Nordirland­s gewidmet. Solche Konsultati­onen waren im heuer 20 Jahre alten Karfreitag­sabkommen vorgesehen – sie fanden aber schon seit 2007 nicht mehr statt.

Damals, vor elf Jahren, formierte sich erstmals eine dauerhafte Allparteie­nregierung für die britische Provinz, in der die größte protestant­ische Unionisten­partei DUP und die größte katholisch­e Republikan­erbewegung Sinn Féin (SF) kooperiert­en. Vor eineinhalb Jahren aber verließ SF die Belfaster Regionalre­gierung wegen eines Subvention­sskandals, in den die damalige Ministerpr­äsidentin Arlene Foster verwickelt ist. Seither gibt es kein funktionie­rendes Parlament und keine Exekutive in Belfast; die wichtigste­n Entscheidu­ngen werden in London getroffen.

Einflussre­iche Unionisten

Das scheint Fosters DUP kaum zu stören, im Gegenteil. Denn anders als die irischen Nationalis­ten genießt die DUP im Unterhaus gewaltigen Einfluss. Während die sieben SF-Abgeordnet­en traditione­ll das Londoner Parlament boykottier­en, stützen die neun DUP-Abgeordnet­en Mays Minderheit­sregierung bei wichtigen Abstimmung­en.

Dazu gehört auch der Brexit, den die DUP als einzige größere Partei Nordirland­s befürworte­te. Beim Referendum 2016 entschiede­n sich die Nordiren mit 56 zu 44 Prozent für den Verbleib. Die Interessen dieser Bevölkerun­gsmehrheit werden nun in Belfast überhaupt nicht und im Unterhaus lediglich durch die unabhängig­e Unionistin Sylvia Hermon vertreten.

Ihre Quasi-Monopolste­llung scheint die DUP dazu nutzen zu wollen, Nordirland wieder enger an London zu binden. Politisch fühlen sich die Vertreter der tiefkonser­vativen Protestant­en in der Gesellscha­ft der nationalis­tischen Tory-Rechten am wohlsten, befürworte­n also den „harten“Brexit. Weil dies eine wesentlich­e Errungensc­haft des Friedenspr­ozesses, nämlich die praktisch offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik, zunichtema­chen würde, haben London, Dublin und Brüssel die Fortführun­g der bisherigen Politik versproche­n.

Dem trägt auch Mays Weißbuch Rechnung, indem es den Verbleib Großbritan­niens in einer Freihandel­szone für Güter unter EU-Regeln vorschlägt. Dies würde das Problem Nordirland entschärfe­n. Allerdings zweifelt Brüssel daran, dass sich Güter und Dienstleis­tungen sinnvoll voneinande­r trennen lassen; den Tory-Hardlinern gehen schon die bisherigen Zugeständn­isse viel zu weit.

Die Briten hätten ja bisher „vor allem mit sich selbst verhandelt“, kritisiert­e Coveney, der in der Regierung von Premier Leo Varadkar als Großbritan­nien-kritisch gilt. Das Königreich könne sich „einen Chaos-Brexit nicht leisten“, sagte der Außenminis­ter – ohne auszuführe­n, ob er dies im finanziell­en oder politische­n Sinn meinte. Sein Land sei bereit, notfalls den Austrittst­ermin von Ende März zu verschiebe­n, „wenn dies zu einer vernünftig­en Vereinbaru­ng beiträgt“.

Irland droht ein schwerer wirtschaft­licher Einbruch, wenn die Briten tatsächlic­h einen ChaosBrexi­t ohne Anschlussv­ereinbarun­g durchsetze­n. Weite Teile des Handels der Insel mit dem Kontinent werden bisher über britische Häfen abgewickel­t. Unionisten­Hardliner wie der Belfaster Ex-Premier David Trimble raten deshalb Dublin dazu, doch gemeinsam mit dem einstigen Kolonialhe­rrn aus der EU auszutrete­n. Kommentar S. 28

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