„Die Denkarbeit für Gleichberechtigung ist bedroht“
Die Politikwissenschafterin Birgit Sauer erklärt, warum die Regierung immer mehr Geld aus feministischen Projekten in den Gewaltschutz umleitet.
Standard: Sind Sie vom Umfang der Kürzungen bei frauenpolitischen Projekten überrascht? Sauer: Nicht sehr, das Tempo überrascht mich aber schon. Anfang des Jahres wurden in Oberösterreich die Kürzungen allerdings schon vorexerziert. Deshalb war klar, dass auch die neue türkis-blaue Regierung feministische Kultur-, Bildungsarbeit und Projekte im migrantischen Umfeld angreift.
Standard: Warum eigentlich? Um viel Geld geht es ja nicht. Sauer: Feministische und Genderfragen stehen im Zentrum des Kampfes um die Hegemonie der Rechten, das zeigt sich schon seit Jahren. Wie Sie sagen, es geht um keine großen Beträge, aber es geht um Themen mit einer sehr hohen symbolischen Bedeutung, und zwar in mehrfacher Hinsicht. An den Antifeminismus rechtspopulistischer Parteien wie der FPÖ werden Themen wie Familie oder ein „Wertegefüge“, wie sie es nennen, aus Heterosexualität und Kleinfamilie geknüpft. Das alles sehen sie durch feministische Projekte be- droht. Die traditionellen Geschlechterverhältnisse sind der Kern ihres Gesellschaftsmodells, und deshalb sollen sie bewahrt bleiben. Deshalb werden feministische Projekte, die das infrage stellen, nicht mehr finanziert.
Standard: Die Förderabsagen werden immer wieder mit dem Fokus auf Gewaltschutz argumentiert. Sauer: Dass ganz viel Geld aus Frauenbudgets in den Gewaltschutz verlagert wird, ist schon länger der Fall. Was nicht heißt, dass Gewaltschutzinitiativen im Geld schwimmen. Wir haben die Argumentation dazu schon vor Jahren untersucht und gesehen, dass das ganz stark mit einer Law-and-OrderPolitik zusammenhängt. Da geht es um Sicherheit, da darf die Polizei eingreifen – das passt also zum herrschenden Sicherheitsdiskurs der Bundesregierung.
Standard: Bei Gewaltschutz können sich aber auch große Teile der Gesellschaft einig sein – was bei anderen feministischen Themen definitiv nicht der Fall ist. Könnte es auch damit zu tun haben? Sauer: Das ist sicher ein Konsensthema. Es passt auch in eine neoliberale Welt, in der am Arbeitsplatz alle funktionieren sollen, mittlerweile auch Frauen. Da passen verletzte Frauen nicht ins Bild. Es verbinden sich also mehrere Logiken.
Standard: Was geht mit der Arbeit feministischer Vereine verloren, wenn sie diese nicht mehr weiterführen können?
Sauer: Sie haben etwa im Bildungsbereich wichtige Vorarbeit darin geleistet, wie man sich Geschlechtergerechtigkeit zwischen Mann und Frau, neue Rollenbilder für Männer oder andere Familienkonzepte vorstellen kann. Gerade diese intellektuelle Vorarbeit und Verbreitung durch Magazine, Kurse oder Bildung ist sehr wichtig. Wenn so etwas wegbricht, ist diese Denkarbeit für Gleichberechtigung bedroht. Man braucht doch Ideen, Fantasie und auch Utopien, wenn man die Herausforderungen der Gesellschaft meistern will.
Standard: Warum hat es während der ersten schwarz-blauen Koalition in den Nullerjahren fast keine Kürzungen bei feministischen Projekten gegeben? Sauer: Die antifeministische konservative bis rechte Vorarbeit der letzten zehn Jahre, die in Europa, Russland oder auch den USA geleistet wurde, hat einen Schub bewirkt, dass nun Regierungen glauben, dass sie das jetzt gleich exekutieren können. Diese Vorarbeit zeigte sich etwa in der ganz heftigen Debatte um Gender-Mainstreaming, dass die niemand brauche, sie niemand verstehe – und sie wurde auch oft auf geschlechtergerechte Sprache reduziert. Das waren mitunter heftige Attacken. Da war etwa die Veränderung der Bundeshymne, die einen riesen Aufschrei brachte.
BIRGIT SAUER ist Politikwissenschafterin und Professorin an der Uni Wien. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Geschlechterforschung in den Politikwissenschaften.