Sergio Marchionne 1952–2018
Der Langzeitchef und Retter des italienischen Autobauers Fiat hat den Kampf gegen sein Krebsleiden verloren. Sergio Marchionne sanierte den Autobauer aus Turin und führte ihn in die Allianz mit Chrysler. Seinen Nachfolgern wird es an Herausforderungen den
Seinen für das Frühjahr 2019 angekündigten Rücktritt als Chef des italienisch-amerikanischen Autokonzerns FiatChrysler (FCA) hat Sergio Marchionne nicht mehr erlebt. Er ist am Mittwoch in Zürich an den Folgen einer Schulter-Sarkom-Operation gestorben.
Der 66-jährige Sohn eines nach Kanada ausgewanderten italienischen Carabiniere aus Chieti in der Region Abruzzen zählte zu den Ausnahmeerscheinungen unter den internationalen TopManagern der vergangenen Dekade. Der Autokonzern Fiat, einst Nationalstolz Italiens, verdankt dem studierten Steuerberater und Wirtschaftsprüfer das Überleben.
Sogar der Vergleich mit Ferdinand Piëch wird nun bemüht – nicht zuletzt wegen Marchionnes autoritärem Führungsstil, seines messerscharfen Verstandes, der hohen Selbsteinschätzung und natürlich der großen Verdienste für den Konzern.
Nach Turin geholt wurde Marchionne 2003 von Umberto Agnelli, kurz vor dessen Tod. Der Industriemanager und Berater bewahrte Fiat vor der Pleite und führte den Autobauer (Alfa Romeo, Lancia, Ferrari) aus der unglücklichen Allianz mit General Motors. Die Mitgift von zwei Milliarden Euro, die er GM beim Ausstieg abpresste, brachte dem Philosophen und Betriebswirt (Studium in Toronto) den Ruf als gewiefter Taktiker ein. Aber was sonst sollte man von einem passionierten Pokerspieler erwarten?
Das so gewonnene Geld wurde klug investiert, brachte den angeschlagenen Autokonzern wieder in Fahrt. Doch Marchionne, der über Alusuisse Lonza in der Schweiz gelandet war und dort später die Führung des Zertifizierungskonzern SGS übernahm, war nicht nur Taktiker, er hatte auch Visionen. Als der Finanzinvestor Cerberus 2009 den in der Finanzkrise schlingernden USAutobauer Chrysler an den Mann bringen wollte, war der FiatChef der Einzige, der darin eine Chance witterte. Fiat beteiligte sich mit einem Minderheitsanteil an Chrysler, der quasi gratis zu haben war, stockte diesen mit Geld der Banken sukzessive auf und formte aus den „zwei Einbeinigen“, wie die Autobranche witzelte, den siebtgrößten Autokonzern der Welt: FCA Fiat Chrysler Automobiles mit Sitz in Niederlanden.
Die Kreditschulden sind längst abgezahlt, doch der Plan, bis 2018 weltweit rund sieben Millionen Fahrzeuge zu produzieren und abzusetzen, ging nicht auf. FCA schaffte zuletzt knapp vier Millionen Fahrzeuge. Den notwendigen Finanzbedarf für die Bergfahrt deckte der studierte Jurist und Betriebswirt Marchionne, der als Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer gearbeitet hatte, an den Kapitalmärkten. Es gelang ihm, die beiden FCA-Töchter, Ferrari und CNH, vom Konzern abzuspalten und an die Börse zu bringen – ohne dabei die Vorstandssessel von Fiat und Ferrari abzugeben. 2019 soll der Komponentenkonzern Magneti Marelli folgen.
Den FCA-Aktionären rund um die Eigentümerfamilie Agnelli-El- kann gefiel’s, sie streiften Millionengewinne ein. Die Schulden bei Lieferanten sind inzwischen beglichen, die FCA-Bilanzen gesäubert. An Arbeit wird es dem nun eilig in den FCA-Chefessel berufenen Mike Manley dennoch nicht fehlen. Denn Marchionne waren Quartalsergebnisse wichtiger als Produktpflege, Investitionen in Elektromobilität und Hybridmotoren. Mit dem Rückbau der Dieselproduktion begann er später als die meisten Konkurrenten, er soll dafür radikaler erfolgen. Nicht zu vergessen zahlreiche Gerichtsverfahren, denn auch Fiat steht wegen Abgasmanipulationen und Korruption am Pranger. Dennoch war auch Marchionne im Abgasskandal ein Mann klarer Worte: „Wer uns mit dem deutschen Unternehmen vergleicht, hat etwas Illegales geraucht“, polterte er.
Für die Beschäftigten und die italienischen Gewerkschaften war die Ära Marchionne ein Trauerspiel. Die Zahl der Fiat-Beschäftigten in Italien schrumpfte von 130.000 zur Jahrtausendwende auf 29.000 – und sie dürfte weiter schwinden, Werksschließungen inklusive.
Privat galt der Kettenraucher Marchionne als scheu, er verabscheute öffentliche Empfänge und gesellschaftliche Events, galt als „Arbeitstier“, das mehr Zeit im Konzern verbrachte als sonst wo. Wohl nicht zufällig wurde seine Assistentin Manuela (47 Jahre) auch seine Lebensgefährtin. Der Vater von zwei erwachsenen Söhnen war aber auch Spieler. Mit seinen engsten Mitarbeitern spielte er während der häufigen und langen Flugreisen Poker. Oder Scopa wie mit Sergio Chiamperino, dem Präsidenten der Region Piemont und früheren Bürgermeister von Turin. Bei dem äußerst populistischen italienischen Kartenspiel gewinnt, wer alle Karten einsammelt, also den Tisch leerfegt. Er war ein schlechter Verlierer, heißt es.