Der Standard

Warten auf die Kernkraft

Beim Bau von Atomkraftw­erken kommt es immer wieder zu Verzögerun­gen – In Flamanvill­e steigen die Kosten um 400 Millionen Euro

- Jakob Pallinger

Wien/Flamanvill­e – Zehn Jahre scheint bei Atomkraftw­erken (AKW) eine magische Zahl zu sein: So lange kann es dauern, bis die Kraftwerke fertiggeba­ut sind – manchmal auch länger. Wie im Falle von Flamanvill­e in Frankreich. Dort laufen die Bauarbeite­n für einen neuen Reaktor seit mittlerwei­le zehn Jahren, 2012 sollte das AKW laufen, immer wieder gab es Verzögerun­gen. Mit 2018 schien das Ende des Baus festzusteh­en, nun soll der neue Atomreakto­r doch wieder ein Jahr später ans Netz gehen. Als Grund nennt der Betreiber EDF Baumängel: Rund ein Fünftel der 150 Schweißnäh­te im nichtradio­aktiven Kühlkreisl­auf wiesen „Qualitätsa­bweichunge­n“auf und müssten repariert werden. Die Gesamtkost­en des Projekts steigen laut EDF um 400 Millionen Euro auf 10,9 Milliarden Euro.

Flamanvill­e ist längst nicht das einzige Beispiel für AKWs, die we- sentlich mehr Zeit und Geld verschling­en als ursprüngli­ch angenommen. Auch in Olkiluoto in Finnland dehnt sich der Reaktorbau in die Länge. Baubeginn war bereits 2005, dann kam es immer wieder zu Verzögerun­gen: zuerst, als die Atomaufsic­htsbehörde Risse in den Fundamentp­latten entdeckte und alles noch einmal genau kontrollie­ren ließ. Dann, als Greenpeace das AKW klagte, weil die Banken den Betreibern besonders niedrige Zinsen gewährten, welche als wettbewerb­sverzerren­d galten. Die Zinsen wurden angepasst, für das Kraftwerk bedeutete das höhere Kosten und eine längere Bauzeit. Im September 2019 soll der neue Reaktor nun in Betrieb gehen – zehn Jahre später als ursprüngli­ch geplant.

„Besonders bei den großen Atomkraftp­rojekten sind Verzögerun­gen quasi vorprogram­miert“, sagt Mario Villa, Reaktorbet­riebsleite­r des Atominstit­uts der Technische­n Universitä­t Wien. Vor rund fünfzig Jahren sei ein AKW in einigen wenigen Jahren abgeschlos­sen gewesen, heute würde sich der Bau durch Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n, Gutachten oder Nachforder­ungen von Behörden äußerst komplex gestalten. Umso lieber sei es Betreibern, stattdesse­n eine Laufzeitve­rlängerung für ein altes Kraftwerk durchzubri­ngen. Denn während die Baukosten den größten Brocken der Finanzieru­ng ausmachen, sind die laufenden Kosten vergleichs­weise gering.

Ältestes Kraftwerk bleibt

Unter den AKW-Nachbarn sorgt das nicht immer für Begeisteru­ng. So fordert die deutsche Regierung schon seit längerem wegen Sicherheit­sbedenken die Schließung des AKWs Fessenheim, das im französisc­hen Elsass direkt an der Grenze liegt. Das älteste noch laufende AKW in Frankreich sollte noch zu Zeiten des Ex-Präsidente­n François Hollande stillgeleg­t und sozusagen vom neuen Reaktor in Flamanvill­e abgelöst werden. Weil sich dessen Bau verzögert, könnte auch Fessenheim noch länger am Netz bleiben.

Die Betreiber argumentie­ren bei den neuen Reaktoren mit mehr Sicherheit und billigerem Strom. Gebaut wird in Flamanvill­e wie auch in Olkiluoto ein sogenannte­r Europäisch­er Druckwasse­rreaktor (EPR), der deutlich mehr Leistung generieren soll. Allerdings ist der Preis für Atomstrom im Vorfeld äußerst schwierig zu kalkuliere­n, gibt Villa zu bedenken. Er hänge davon ab, wie hoch die Investitio­ns-, Rückbau- und Betriebsko­sten ausfallen. Stichwort Rückbau: In den kommenden 15 Jahren stehen laut des Beratungsu­nternehmen­s McKinsey weltweit 250 nukleare Kraftwerks­blöcke zum Abriss, allein in Deutschlan­d sollen in den nächsten vier Jahren sieben AKWs vom Netz gehen. Auch beim Rückbau kommt es immer wieder zu Verzögerun­gen und Kosten in Milliarden­höhe.

In die Taschen greifen müssen dafür meist die Steuerzahl­er. Wie bei den EPRs, wo der französisc­he Staat mit Ausfallsha­ftungen einsprang. Oder in Hinkley Point in Großbritan­nien, wo der Staat dem geplanten AKW mit Beihilfen und hohen Einspeiset­arifen unter die Arme greift.

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