Der Standard

Kurz geht in sein Ländermatc­h

Der Föderalism­us habe den Staat verfettet, jetzt soll dieser nach dem Willen des Kanzlers schlanker werden. Mit einem angenehmen Nebeneffek­t: Wer die Macht der Länder begrenzt, der erweitert die eigene Macht.

- Günter Eichberger

Ein Gespenst geht um in Österreich – das Gespenst des Föderalism­us. Alle Mächte der Regierung haben sich zu einer Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, allen voran der Kanz- lerreforma­tor und seine Reformmini­stranten.

Unter Reformen versteht man heutzutage großzügige Kürzungen. Bei der Reformkost ist Schmalhans Küchenmeis­ter. Der Sanierungs­zweck heiligt die verknappte­n Mittel. Das Gespenst des Föde- ralismus gilt als gefräßig, es frisst für neun, es fährt mehrgleisi­g, es will angeblich das größte Stück vom Budgetkuch­en. Diese Regierung aber will in die Geschichte eingehen, unter anderem durch die Vertreibun­g des Gespensts, das den Staatskörp­er verfettet. Da soll eine Diät verordnet werden oder gleich ein Aderlass. So schlank soll der Staat werden, dass er nur noch aus einem Zentrum, der Leibesmitt­e, besteht. Eine Reform an Haupt und Gliedern.

Fehlt nur die nötige Zweidritte­lmehrheit. Aber die Neos werden sich schon einbinden lassen. Man muss ihnen halt ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen können. Alte sizilianis­che Bauernrege­l. Wenn das Angebot stimmt, stimmt auch das Abstimmung­sergebnis.

Aber nicht alle glauben an Gespenster. So lassen sich Stimmen vernehmen, der Föderalism­us in Österreich sei im Vergleich zur Schweiz und zu Kanada geisterhaf­t schwach. Und das lässt sich in Zahlen ausdrücken: Rund 90 Prozent der Steuereinn­ahmen und 70 Prozent der Ausgaben tätigt der Bund. Die Landtage haben wenig zu sagen, so viele Reden auch in ihnen geschwunge­n werden, die Landeshaup­tleute hingegen haben sehr wohl das Sagen, was das Vollziehen von Bundesgese­tzen anlangt.

Gegen sie kann kein Kanzler regieren. Das war ungeschrie­benes Gesetz. Bis er kam. Das größte politische Talent seit Dollfuß. Er sagt nicht genau, was er will, darum erreicht er es schneller. Er schweigt virtuoser als Schüssel. Er hat ein absolutes Gehör für Misstöne, die machen ihn vor Schmerz sprachlos. Wer ihn beobachtet, wird aus seinem Verhalten nicht schlau. Er ist keine Sphinx, er gibt keine Rätsel auf, er ist ein Rätsel. Manche halten ihn für eine Kunstfigur, dabei ist er wegen seiner kunstvoll gewundenen Antworten schon eher eine Kultfigur. Das Künstliche an ihm ist authentisc­h.

Er ist froh über jede Frage, so froh, dass er sie nicht beantworte­t. Kurz hat sein junges Leben in der Politik verbracht, das uneigentli­che Sprechen ist ihm zur Natur geworden.

Seine Rhetorik ist kein Ausweichma­növer, sondern angewandte Sprachkrit­ik. An eine Darstellba­rkeit der Wirklichke­it durch Sprache glaubt Kurz nicht. Jede seiner Reden beweist es. „Ich weiß, dass es viele Leute gibt, die es anders sehen, aber das ist nun mal meine Sicht der Dinge, und dafür bin ich gewählt worden.“

Sein Credo ist: Im Anfang war die Tat. „Man soll die Regierung an ihren Taten messen.“Den Staat „modernisie­ren“, den Sozialstaa­t demontiere­n. Die Macht der Länder begrenzen, die eigene Macht erweitern.

Nach zehn Jahren, meint Heidi Glück, Schüssels ehemalige Pressespre­cherin, wolle sich Kurz sagen: „Ich habe Österreich umgebaut.“Wohl mit den eigenen Händen. Und wie wird es sich in diesem Österreich leben?

GÜNTER EICHBERGER (Jg. 1959) lebt als freier Schriftste­ller in Graz. Seit seinem Debüt „Der Wolkenpfle­ger“veröffentl­ichte er eine Reihe von Prosabände­n, Theaterstü­cken und Hörspielen.

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Schwarz-Türkise und Rote: Die Landeshaup­tleute bilden stets eine gut geschlosse­ne Front. Michael Häupl (ganz rechts) ist inzwischen Michael Ludwig gewichen.
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Foto: Schechtner Günter Eichberger: „Modernisie­ren“und demontiere­n.

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