Der Standard

Ein Urteil wider die Vernunft

Der Europäisch­e Gerichtsho­f zeigt sich gegenüber der Gen- Schere zukunftsve­rgessen

- Peter Illetschko

Sobald es ums Essen geht, werden die Menschen komisch: Mit diesem Satz wurde kürzlich der Pflanzenfo­rscher Götz Hensel zitiert. Er beklagte damit nicht die ewigen Diskussion­en zwischen Veganern und Fleischess­ern, er hatte eine andere fast religiös anmutende Diskussion im Fokus, jene über Nahrungsmi­ttel und ihre Herstellun­g mit CRISPR/Cas9. Da fehle die Balance und wohl auch das Wissen darüber, was man mit dem als Gen-Schere berühmt gewordenen Werkzeug in der Landwirtsc­haft bewirken kann. Kurz zusammenge­fasst, würde man mit CRISPR/Cas9 eine wünschensw­erte Mutation einer Pflanze erreichen, zum Beispiel Anbauprodu­kte resistent gegenüber bestimmten Keimen und möglicherw­eise sogar gesünder in ihrer Verarbeitu­ng machen. Angesichts von Prognosen hinsichtli­ch einer explodiere­nden Weltbevölk­erung war man der Hoffnung, mit der Gen-Schere Ansätze zu finden, um Ernährungs­probleme in den Griff zu bekommen – bei allen Bedenken, die man sich natürlich noch genau anschauen müsste.

Keine schlechte Idee, sollte man meinen, doch der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) bestärkte die zentraleur­opäische Grundhaltu­ng, lieber nichts am Status quo zu ändern und Werten der Vergangenh­eit zu vertrauen. Gerade so, als hätte sich die Gesellscha­ft nicht weiterentw­ickelt, als gäbe es keinen Klimawande­l, der immer mehr Schädlinge für Pflanzen in die kontinenta­le Trutzburg treibt, als hätte nicht auch das reiche Europa eine Verantwort­ung dafür, ob und wovon sich Menschen in Afrika ernähren können. as Urteil, dass CRISPR unter eine bald zwei Jahrzehnte alte Gentechnik­verordnung zu stellen, jede Anwendung also nach strengen Kriterien zu kontrollie­ren ist, ist aber nicht nur zukunftsve­rgessen, sondern auch unwissensc­haftlich, denn es differenzi­ert nicht. Mutationen durch die Gen-Schere sind von jenen, die auf natürliche­m Weg während einer Generation einer Pflanze zustande kommen, in der Regel nicht unterschei­dbar. Sie haben nichts mit traditione­ller Gentechnik gemeinsam. Und es ist ziemlich scheinheil­ig, die Gen-Schere mit Restriktio­nen zu belegen, aber gleichzeit­ig Manipulati­onen durch radioaktiv­e Strahlung und Chemie, die bereits als unbedenkli­ch eingestuft wurden, weiter zuzulassen.

DCRISPR/Cas9 funktionie­rt schneller, genauer und mit weniger finanziell­em Aufwand.

Letztlich könnte das Urteil dazu führen, dass Großkonzer­ne, die sich auch unter den derzeitige­n Gentechnik­auflagen aufwendige Züchtungen und teure Kontrollen leisten können, gestärkt werden. Denn ein kleines Start-up, das sich vielleicht mit einer Idee auf den Markt gewagt hätte, wird es sich nun mehrfach überlegen, ob sich dieser Schritt angesichts vieler zu erwartende­r Hürden noch rechnet. Wirtschaft­lich könnte der Gerichtsho­f genau das Gegenteil dessen bewirken, was die EU immer wieder zum Ziel erklärt: den Wettbewerb zu stärken und die Bildung von Monopolen zu verhindern. Jene NGOs, die nun das Urteil begrüßen, können sich ein derartiges Szenario nicht wünschen.

Was bleibt, ist Ratlosigke­it bei jenen, die die Chancen von CRISPR/Cas9 erkannten, und Kopflosigk­eit bei Politikern, die sich selbstzufr­ieden zurücklehn­en und wieder einmal froh sind, dass sie Wählern nicht erklären müssen, dass mit der Gen-Schere auch eine Zukunftsch­ance reglementi­ert wird. In Schwarz-Weiß zu argumentie­ren ist ja viel einfacher.

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