Der Standard

„Viele Menschen wollen belogen werden“

Falsche Anreize, Populismus und Übervölker­ung der Erde sind für Ernst Ulrich von Weizsäcker die größten Herausford­erungen der Klimapolit­ik. Der Co-Präsident des Club of Rome fordert eine Verteuerun­g der Energie.

- INTERVIEW: Aloysius Widmann Foto: A. Widmann

STANDARD: Der Club of Rome hat schon Anfang der Siebziger vor der ökologisch­en Katastroph­e gewarnt. Steht die Warnung noch? Weizsäcker: In unserem jüngsten Buch für den Club of Rome („Wir sind dran“, gemeinsam mit Anders Wijkman, Anm. der Redaktion) fordern wir eine neue Aufklärung. Man muss aber auch auf der praktische­n Ebene Antworten finden. Mit Aktionismu­s, etwa populistis­cher Art, kann man die Krise überhaupt nicht lösen, nicht einmal adressiere­n. Wenn jemand sagt, wir brauchen eine Verzehnfac­hung der Ausgaben für die Müllabfuhr, dann mag das richtig sein, ist aber weit entfernt vom ökologisch­en Weltproble­m.

STANDARD: Das da wäre? Weizsäcker: Klima, Artensterb­en, Ozeane. Profite müssten die machen, die das ökologisch Richtige tun. Und nicht die, die die Natur ausbeuten. Mit der Zerstörung des brasiliani­schen Urwalds kann man Milliardär werden – eine Katastroph­e für den Planeten. Interessan­t ist der Budgetansa­tz für das Klima, ein globaler Emissionsh­andel. Der „Norden“hat sein Budget schon fast aufgebrauc­ht und müsste im „Süden“Lizenzen einkaufen. Der Neubau von Kohlekraft­werken in Afrika wäre dann ein Verlust und nicht mehr eine Lizenz zum Geld drucken.

STANDARD: Was ist mit Emissionss­teuern? Weizsäcker: Es wäre zu wenig, wenn man das Ganze nur für lokale Luftschads­toffe macht. Artenvielf­alt, Ozeane, Klimawande­l haben mit den lokalen Luftschads­toffen relativ wenig zu tun. Das Thema ist aber, wie die Dieselaffä­re zeigt, ganz nah an den Menschen. Mit dem Thema Klima hat das null zu tun. Zu behaupten, die Bereinigun­g des Dieselskan­dals habe mit Klimaschut­z oder Ozeanschut­z zu tun, ist schlicht falsch.

STANDARD: Die Politik setzt auf E-Mobilität und Erneuerbar­e. Weizsäcker: Was beim Elektroaut­o an Energieeff­izienz gegenüber dem Verbrennun­gsmotor vorteilhaf­t ist, wird fast gänzlich aufgefress­en, wenn der Strom aus fossilen Brennstoff­en kommt.

STANDARD: Die Uno hat saubere Energie in die Sustainabl­e Developmen­t Goals aufgenomme­n. Weizsäcker: Das siebente SDG lautet „erschwingl­iche und saubere Energie“. In der Sprache von Politikern, die wiedergewä­hlt werden wollen, heißt das, dass Energie billig sein muss. Und dass man ihr nicht ansieht, dass sie schmutzig ist. Das ist, was in der Realpoliti­k dabei herauskomm­t. Zum Beispiel polnischer Kohlestrom: Der Strom selber sieht sauber aus und ist relativ billig. Das bringt Stimmen, ist aber etwas anderes als Klimapolit­ik. Klimapolit­ik ist, wie Al Gore gesagt hat, eine unbequeme Wahrheit. Die SDGs sind im Grunde ein Wachstumsp­rogramm, sie strapazier­en den Planeten nur noch weiter. Viele Menschen wol- len lieber belogen werden als unbequeme Wahrheiten hören.

STANDARD: Dass Ökothemen Mehrheiten bringen, zeigt doch, dass es ein ökologisch­es Bewusstsei­n gibt. Weizsäcker: Man kann gute Klimapolit­ik so machen, dass man dabei wiedergewä­hlt wird. Aber das erfordert eine ausgesproc­hene Langfristi­gkeit, das Gegenteil von dem, was Populisten machen. Zum Beispiel die langfristi­ge Festlegung: Klimaschäd­liche Energie wird von Jahr zu Jahr in sozialvert­räglichen Schrittche­n teurer.

STANDARD: Als Anreiz für klimafreun­dliche Energie? Weizsäcker: Energieeff­izienz würde lukrativer. Das ist ökologisch besser als Maisplanta­gen. Wichtig ist: Die Verteuerun­g ist so langsam, wie die Energieeff­izienz zunimmt. Wenn die Effizienz, mit der man einen Kilometer fährt, heuer um drei Prozent zunimmt, dann würde der Treibstoff 2019 um drei Prozent teurer. Möglicherw­eise auch für Elektroaut­os. Mit so einem vorhersehb­aren Preissigna­l würden alle, die Geld verdienen wollen, die Ökologisie­rung vorantreib­en.

STANDARD: Warum nicht einfach weniger konsumiere­n? Weizsäcker: 7,6 Milliarden Menschen sind für den kleinen Planeten Erde eigentlich zu viel, wenn jeder Wohlstands­ansprüche hat wie in Europa oder in den USA.

STANDARD: Wir müssen also das Bevölkerun­gswachstum reduzieren? Weizsäcker: Ja.

STANDARD: Wie soll das gehen? Weizsäcker: Ich habe Bevölkerun­gswachstum und Konsum genannt. Bei einem Konsumnive­au wie im heutigen Indien könnte unser Planet auch zehn Milliarden verdauen. Das will aber keiner. Ermutigend­e Studien zeigen, dass Länder mit weniger Bevölkerun­gswachstum ökonomisch besser fahren.

STANDARD: Die Kausalität ist doch eine andere: Wohlstand und gute staatliche Sicherungs­systeme machen uns weniger abhängig von unseren Kindern. Weizsäcker: Diese beiden Effekte gibt es natürlich auch. Aber der Vergleich zwischen Schwarzafr­ika und Südamerika, wo die Armut vor 20 Jahren ähnlich war, zeigt: Die Südamerika­ner haben eine deutliche Verringeru­ng der Kinderzahl erreicht. In Afrika das Gegenteil: In Mali etwa haben Familien weiterhin sechs Kinder.

ERNST ULRICH VON WEIZSÄCKER (79) ist ein deutscher Naturwisse­nschafter und Politiker. Von 1998 bis 2005 saß er für die SPD im Deutschen Bundestag. Der Co-Präsident des Club of Rome war im Rahmen der Alternativ­e Economic and Monetary Systems Summer School in Wien.

7,6 Milliarden Menschen sind für unseren kleinen Planeten Erde eigentlich zu viel.

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Foto: AFP Die Abholzung des brasiliani­schen Regenwalds sei eine der lukrativst­en Tätigkeite­n der Welt, beklagt Weizsäcker.
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