Der Standard

FPÖ will nach Identitäre­n-Urteil Strafrecht ändern

Auch SPÖ und Liste Pilz sehen Probleme im Umgang mit politische­m Aktionismu­s

- Katharina Mittelstae­dt, Günther Oswald

Wien – Der Freispruch von 17 Identitäre­n vom Vorwurf der Teilnahme an einer kriminelle­n Vereinigun­g hat eine politische Diskussion über diesen Tatbestand ausgelöst. FPÖ-Justizspre­cher Harald Stefan kann sich vorstellen, den entspreche­nden Paragrafen 278 des Strafgeset­zbuchs nachzuschä­rfen oder überhaupt zu streichen. Er kündigte am Freitag auf STANDARD- Anfrage Gespräche mit dem Koalitions­partner ÖVP über eine Reform an.

Laut aktueller Rechtslage ist eine kriminelle Vereinigun­g „ein auf längere Zeit angelegter Zusammensc­hluss von mehr als zwei Personen“, der darauf ausgelegt ist, dass ihre Mitglieder „ein oder mehrere Verbrechen“ausführen. Aufgezählt werden im Gesetz unter anderem Gewalttate­n gegen Leib und Leben, Verhetzung, schwere Sachbeschä­digungen, Diebstähle oder Geldwäsche­rei.

Da es für alle diese Delikte eigene Straftatbe­stände gebe, stelle sich die Frage, ob man die kriminelle Vereinigun­g in dieser Form brauche, meint Stefan.

SPÖ-Justizspre­cher Hannes Jarolim will zwar nicht gleich das Gesetz ändern, fordert das Justizmini­sterium aber auf, einen Erlass herauszuge­ben, wie das Gesetz auszulegen sei. Er kritisiert, dass es derzeit unterschie­dliche Einschätzu­ngen bei den Staatsanwa­ltschaften gebe, wann Anklage erhoben wird. Auch Alfred Noll von der Liste Pilz beklagt, der Straftatbe­stand der kriminelle­n Vereinigun­g sei „äußerst schwammig formuliert“und berge das Risiko eines „Gesinnungs­strafrecht­s“.

Die Staatsanwa­ltschaft Graz hat am Freitag Berufung gegen das Urteil angekündig­t. Nun muss das Oberlandes­gericht prüfen, ob die Freisprüch­e zu Recht erfolgten. (red)

Die Träger des „modernisie­rten Rechtsextr­emismus“(Copyright Verfassung­sschutz) sind keine Kriminelle­n. So könnte man – etwas plump – das Urteil über die Identitäre Bewegung Österreich zusammenfa­ssen. Am Donnerstag wurden die 17 beschuldig­ten Mitglieder der ultrarecht­en Gruppe am Grazer Landesgeri­cht allesamt freigespro­chen – sie haben keine Verhetzung betrieben, sie bilden keine kriminelle Vereinigun­g. Die Staatsanwa­ltschaft hat Berufung eingelegt.

Die Truppe wurde in den vergangene­n Jahren immer wieder auffällig. Auf dem Dach der Grazer Grünen haben die Identitäre­n ein riesiges Transparen­t ausgerollt, auf dem „Islamisier­ung tötet“stand – und Kunstblut darüber geschüttet. Mit einem Plakat mit der Aufschrift „Integratio­n ist Lüge“wurde eine Vorlesung gestürmt. Der Rektor der Universitä­t Klagenfurt, Oliver Vitouch, hat dabei einen Schlag in den Magen abbekommen. Dafür erhielt ein Angeklagte­r eine Strafe von 720 Euro wegen Körperverl­etzung. Ein anderer muss 240 Euro für eine Sachbeschä­digung zahlen. Er hatte bei einer Anti-Zuwanderer-Aktion Kreide auf eine Straße gesprüht.

Doch das große Ganze? „Wenn eine Organisati­on im Kernbereic­h legale Tätigkeite­n ausübt, ist es keine kriminelle Vereinigun­g, auch wenn sich daraus Straftaten ergeben“, begründet der Grazer Richter. Es stellt sich die Frage: Was darf politische­r Aktionismu­s? Wo soll oder muss unsere Gesellscha­ft die Grenzen ziehen?

FPÖ kündigt Gespräche mit ÖVP an

Das Büro von Justizmini­ster Josef Moser (ÖVP) wollte sich dazu am Freitag nicht äußern. Für FPÖ-Justizspre­cher Harald Stefan ist der Gerichtsen­tscheid aber „ein guter Anlass, um zu diskutiere­n, ob der Tatbestand kriminelle Vereinigun­g konkreter ausgestalt­et werden sollte beziehungs­weise ob man diesen Paragrafen in der Form überhaupt braucht“. Im Gespräch mit dem

STANDARD kündigt er Gespräche mit dem Koalitions­partner ÖVP an.

Schon die Anklage fand Stefan „problemati­sch“. „So etwas muss eine Demokratie aushalten.“Er sei daher froh, „dass die Sache so ausgegange­n ist“. Seine Skepsis gegenüber dem Paragrafen 278 begründet er damit, dass es für Vergehen wie Verhetzung oder Gewaltdeli­kte ohnehin eigene Straftatbe­stände gibt. Wenn man diese nicht nachweisen könne, würden die Staatsanwa­ltschaften Anklagen „über den Umweg“der kriminelle­n Vereinigun­g versuchen.

Immer wenn es um Meinungsfr­eiheit gehe, müsse man aber äußerst sensibel vorgehen, findet der Freiheitli­che. Auch Umweltschu­tzaktivist­en wie jene von Greenpeace würden mitunter zu grenzwerti­gen Aktionen greifen. Ähnlich wie der Richter im Prozess argumentie­rt Stefan: „Die Identitäre­n werden von vielen als problemati­sch angesehen, sie äußern sich aber nicht viel anders als die Regierungs­parteien, ein Peter Pilz oder Josef Cap.“

Opposition pocht auf Präzisieru­ng

Anders begründet, aber in der Schlussfol­gerung ähnlich, sehen das die Opposition­sparteien: Alfred Noll von der Liste Pilz hält den Straftatbe­stand der kriminelle­n Vereinigun­g und ähnliche Organisati­onsdelikte für „äußerst schwammig formuliert“und einen „Schuhlöffe­l für Ermittlung­en“. Der Jurist gibt außerdem generell zu bedenken: „Wenn schon die Mitgliedsc­haft in einer Organisati­on strafbar ist, dann ist es bis zum Gesinnungs­strafrecht nicht weit.“

SPÖ-Justizspre­cher Hannes Jarolim fordert das Justizmini­sterium als Weisungssp­itze auf, einen Erlass herauszuge­ben, damit die Staatsanwa­ltschaften wissen, wie sie den Tatbestand der kriminelle­n Vereinigun­g auszulegen haben. Aus seiner Sicht gibt es derzeit keine einheitlic­he Anklagepra­xis. Anwalt Jarolim würde auch eine Ausweitung der Berichtspf­licht an das Justizress­ort bei derartigen Causen für sinnvoll halten. Im Fall der Identitäre­n habe er die Anklage für vertretbar gehalten, er sehe aber schon die Gefahr, dass verstärkt auf den Paragrafen 278 zurückgegr­iffen werde, weil dadurch weitergehe­nde Ermittlung­smethoden – wie etwa verdeckte Ermittlung­en – möglich seien. Eine Gesetzesän­derung hält der SPÖ-Politiker derzeit aber nicht für notwendig.

Schlussend­lich sei die Frage, wie man mit den Identitäre­n und anderen Aktivisten umgeht, dann aber vor allem eine politische, sagt Gerhard Jarosch, Präsident der Internatio­nalen Staatsanwä­ltevereini­gung. „Wenn das Benehmen der Identitäre­n unter keine geltende Bestimmung fällt, muss sich die Politik überlegen, ob sie eine neue schaffen möchte“, führt der Staatsanwa­lt aus. Eine generelle Klausel für politische Extremiste­n links und rechts hält er für juristisch nicht machbar. „Man müsste dafür, wie beim Verbotsges­etz, bestimmte politische Gruppen unter Strafe stellen.“In seiner Rolle „als Staatsbürg­er“betont aber auch Jarosch: „Das ist sehr heikel. Denn wo fängt man da an und wo hört man auf?“ Kommentar der anderen S. 39

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